22.09.2017

Berücksichtigung der Beiträge anderer Versorgungseinrichtungen bei Anwendung der Öffnungsklausel; Nachweisobliegenheiten bei einem sog. Spin-off; keine erweiternde Auslegung des § 16 Abs. 4 EStG

Hat ein Steuerpflichtiger Beiträge an mehrere Versorgungseinrichtungen geleistet, bezieht er aber zunächst nur Renteneinnahmen aus einem einzigen Versorgungswerk, sind in die Prüfung der Voraussetzungen der Öffnungsklausel alle von ihm geleisteten Beiträge an Versorgungseinrichtungen einzubeziehen, die zu Leibrenten und anderen Leistungen i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG führen können. Die Nachweisobliegenheit und das Nachweisrisiko für das Vorliegen der Voraussetzungen einer steuerfreien Einlagenrückgewähr im Rahmen eines sog. Spin-off treffen den Anteilseigner. § 16 Abs. 4 EStG ist nicht dahingehend auszulegen, dass wirtschaftlich zusammenhängende Veräußerungen als eine einzige Veräußerung angesehen werden können.

Kurzbesprechung
BFH v. 3.5. 2017 - X R 12/14

EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, § 16 Abs. 4
AO § 182 Abs. 1

In einer umfangreichen Entscheidung hatte der BFH sich mit drei voneinander unabhängigen Sachverhalten und ihren steuerlichen Auswirkungen zu beschäftigen.

Der Steuerpflichtige bezog im Streitjahr 2005 eine Rente von der berufsständischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung in Bayern (Rechtsanwaltsversorgungswerk). Erst im Folgejahr erhielt er weitere Renten von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sowie vom Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer im Lande Nordrhein-Westfalen (Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer). Der Kläger hatte von 1965 bis 2001 Beiträge in die DRV, von 1990 bis 2004 in das Rechtsanwaltsversorgungswerk sowie von 2000 bis 2004 in das Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer geleistet.

Der Steuerpflichtige erhielt im Streitjahr zudem eine Gutschrift in Höhe von 3.478,32 €, die auf einer von der US-Firma D Inc. als sog. Spin-off bezeichneten Abspaltung der T Inc. beruhte. Dem Steuerpflichtigen wurden als Anteilseigner von 700 Aktien der D Inc. 140 Aktien der T Inc. im Wert von 3.478,32 € übertragen, ohne dass das Kapital herabgesetzt wurde.

Außerdem erwarb er durch Zeichnungsschein des A - Spezial - Fonds im Dezember 1982 eine Beteiligung als Kommanditist an den folgenden Gesellschaften: W - KG, T - KG, D - KG, A - KG sowie eine Beteiligung an einem Darlehensfonds. Der Steuerpflichtige erklärte in diesem Zusammenhang seinen Eintritt in den A - Spezial - Fonds. Im Dezember 2004 kündigte er seine Kommanditbeteiligungen gegenüber sämtlichen Beteiligungsgesellschaften und erzielte aus der Veräußerung seiner Anteile an den Gesellschaften die folgenden Veräußerungsgewinne: W - KG 9.714 €, T - KG 5.528 €, A - KG 3.672 € und D - KG 12.266 €.

Der Steuerpflichtige machte im Einspruchs - und Klageverfahren geltend, dass seine Einkünfte aus Leibrenten nicht nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, sondern nach der Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG zu besteuern seien. Die Gutschrift aus dem sog. Spin-off war nach seiner Auffassung steuerfrei zu belassen. Hinsichtlich der Anteilsveräußerungen beantragte er, die Veräußerungsgewinne bei wirtschaftlicher Betrachtung zusammenzufassen und in voller Höhe durch den Freibetrag aus § 16 Abs. 4 EStG zu begünstigen.

• Öffnungsklausel

Weil sich die anteilige Besteuerung nach den Regeln der Öffnungsklausel auf die einzelne Rente bezieht, müsste zwar im Anschluss der auf diesen Beiträgen oberhalb des Höchstbeitrags beruhende Teil der Leistung grundsätzlich für jeden einzelnen Rentenanspruch getrennt ermittelt werden. Der BFH entschied jedoch, dass im Streitfall eine dementsprechende Aufteilung nicht in Betracht kam, weil der Steuerpflichtige im Jahr 2005 nur Renteneinnahmen aus einem einzigen Versorgungswerk bezogen hatte. Damit waren alle Beiträge einschließlich der an das Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer geleisteten Beiträge bei der Berechnung des der Öffnungsklausel unterliegenden Anteils zu berücksichtigen.

Da sich eine mögliche doppelte Besteuerung der im Streitjahr 2005 bezogenen Rente des Rechtsanwaltsversorgungswerks auch durch Berücksichtigung der Beiträge an das Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer ergeben kann, müssen auch diese Beiträge in die Ermittlung des der Ertragsanteilsbesteuerung unterliegenden Anteils einbezogen werden. Dies gilt unabhängig davon, dass der Steuerpflichtige (noch) keine Renteneinnahmen aus diesem Versorgungswerk bezieht.

• Spin-off

Die vom Steuerpflichtigen geltend gemachte Nichtbesteuerung des sog. Spin - off als steuerfreie Einlagenrückgewähr scheiterte an dem Umstand, dass er seiner Nachweisobliegenheit für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht nachgekommen war. Das FG hatte daher zu Recht entschieden, dass mangels ausreichender Nachweise kein verlässlicher Rückschluss auf die Einordnung des streitgegenständlichen sog. Spin-off möglich war.

• Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG

Von den vier Veräußerungsgewinnen konnte lediglich der Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils gemäß § 16 Abs. 4 EStG als steuerfrei behandelt werden, da der Steuerpflichtige Gewinne aus vier voneinander unabhängigen Veräußerungen und nicht lediglich einen Gesamtveräußerungsgewinn erzielt hatte. Der BFH verwies hierzu auf die für das Einkommensteuerverfahren bindenden Gewinnfeststellungsbescheide. Entsprechend konnte die Begünstigungsvorschrift des § 16 Abs. 4 EStG nur im Rahmen einer Mitunternehmeranteilsveräußerung in Anspruch genommen werden.

BFH, Urteil vom 3.5.2017, X R 12/14, veröffentlicht am 20.9.2017.

Verlag Dr. Otto Schmidt