13.09.2011

Das Beschwerdegericht ist zur Weiterleitung einer erkennbar falsch adressierten Beschwerdeschrift an das AG verpflichtet

Ist für das Beschwerdegericht ohne weiteres zu erkennen, dass die an es adressierte Beschwerdeschrift gem. § 64 FamFG an das AG hätte gerichtet werden müssen, hat es sie an letzteres im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten. Wäre der fristgerechte Eingang der Beschwerdeschrift beim AG bei der gebotenen Weiterleitung zu erwarten gewesen, ist dem Rechtsmittelführer bei unterbliebener Weiterleitung auch bei ordnungsgemäßer Belehrung über die Einlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

BGH 17.8.2011, XII ZB 50/11
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller begehrt die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist. Das AG wies dessen Antrag auf Abänderung des Unterhalts mit Beschluss vom 20.5.2010, dem Antragsteller am 26.5.2010 zugestellt, zurück. Die Entscheidung beruht auf den Vorschriften des FamFG und enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben sei, die beim AG innerhalb eines Monats schriftlich eingegangen sein müsse.

Hiergegen legte der Antragsteller mit einem an das KG adressierten Schriftsatz vom 14.6.2010, der dort am 15.6.2010 einging, "Beschwerde" ein. Nach Eingang der Gerichtsakte beim KG am 1.7.2010 wies der Vorsitzende mit Verfügung vom 5.7.2010 den Antragsteller darauf hin, dass die Beschwerde beim AG hätte eingelegt werden müssen. Schließlich verwarf das KG die Beschwerde des Antragstellers als unzulässig und wies den Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers vom 12.7.2010 zurück.

Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Antragstellers hob der BGH den Beschluss des KG auf und gewährte dem Antragsteller Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 20.5.2010. In der übrigen Sache verwies der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.

Die Gründe:
Das KG hätte dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen und deshalb die Beschwerde nicht als unzulässig verwerfen dürfen.

Nicht gefolgt werden kann dem KG, soweit es die Ursächlichkeit des Verschuldens für die Fristversäumung bejaht, obgleich es die fehlerhaft adressierte Beschwerde nicht an das zuständige AG weitergeleitet hat. Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden, besteht zwar keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen ist.

Diese Grundsätze sind gleichermaßen auf den vorliegenden Fall anzuwenden, in dem die Beschwerde in einer Familienstreitsache anstatt an das gem. § 64 Abs. 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständige AG an das Beschwerdegericht adressiert wurde. Das angerufene Gericht hat die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das AG weiterzuleiten, wenn ohne weiteres die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erkennbar und - damit regelmäßig - die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist. Denn auch in diesen Fällen der offensichtlichen eigenen Unzuständigkeit stellt es für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine übermäßige Belastung dar, in Fürsorge für die Verfahrensbeteiligten einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten.

Für das KG war anhand der vom Beschwerdeführer eingereichten Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung ohne weiteres erkennbar, dass das AG nach dem neuen Verfahrensrecht entschieden hat. So hat das KG selbst ausgeführt, dass sich aus der angefügten Rechtsbehelfsbelehrung unmissverständlich ergebe, dass die Beschwerde beim AG einzulegen sei. Schließlich wäre die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige AG im ordentlichen Geschäftsgang auch möglich gewesen. Denn die Beschwerdeschrift war bereits am 15.6.2010 beim KG eingegangen. Demgegenüber lief die Beschwerdefrist erst am 28.6.2010 (einem Montag), also knapp zwei Wochen später ab.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, konnte der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 S. 1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ursächlichkeit des Verschuldens lediglich noch auf einer rechtlichen Bewertung beruht. In der Sache selbst war es dem Senat allerdings verwehrt, abschließend zu entscheiden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist.

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