14.04.2014

Das zum Minderjährigen begründete Annahmeverhältnis ist nach Eintritt der Volljährigkeit selbst bei sexuellem Missbrauch des Adoptivkindes nicht mehr aufhebbar

Das zu einem Minderjährigen begründete Annahmeverhältnis ist nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes nicht mehr aufhebbar. Dies gilt auch dann, wenn es zu schwersten Verfehlungen eines Beteiligten gekommen ist (hier: sexueller Missbrauch der Adoptivtochter durch den Adoptivvater).

BGH 12.3.2014, XII ZB 504/12
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Aufhebung einer Minderjährigenadoption. Die Mutter der Antragstellerin heiratete im Jahre 1992 den Antragsgegner. Sie brachte die im Februar 1991 geborene Antragstellerin in die Ehe mit, die von einem anderen Mann abstammte und von dem Antragsgegner im Jahre 1994 adoptiert wurde. Aus der Ehe des Antragsgegners mit der Mutter der Antragstellerin gingen noch vier gemeinsame Kinder hervor, darunter die im Jahre 1997 geborene Tochter L. Sowohl die Antragstellerin als auch ihre leibliche Halbschwester L wurden seit ihrem sechsten Geburtstag (1997 bzw. 2003) von dem Antragsgegner bis zu seiner vorläufigen Festnahme im Jahre 2008 fortwährend sexuell missbraucht.

Im Jahre 2009 wurde der Antragsgegner deswegen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Antragstellerin befindet sich in laufender psychotherapeutischer Behandlung, war zeitweise in einer psychiatrischen Klinik untergebracht und unternahm kurz nach ihrem 18. Geburtstag einen Suizidversuch. Im November 2009 beantragte die zu diesem Zeitpunkt bereits volljährige Antragstellerin die Aufhebung der Adoption. Der Antragsgegner hat sich dem Aufhebungsantrag angeschlossen.

AG und OLG lehnten den Antrag ab. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Auf die in § 1759 BGB i.V.m. §§ 1760, 1763 BGB genannten Gründe für die Aufhebung einer Minderjährigenadoption kann sich die Antragstellerin nicht stützen. Die in § 1760 BGB benannten schwerwiegenden Mängel bei der Begründung des Annahmeverhältnisses bestehen nicht. Eine amtswegige Aufhebung der Adoption aus wichtigem Grund zum Wohle des Kindes sieht § 1763 Abs. 1 BGB ausdrücklich nur während der Minderjährigkeit des Kindes vor, wobei auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz abzustellen ist. Vorliegend war die Antragstellerin schon bei der Antragstellung volljährig.

Nach § 1771 S. 1 BGB kann das Familiengericht das "zu einem Volljährigen begründete" Annahmeverhältnis aus wichtigem Grund aufheben, wenn dies der Annehmende und der Angenommene übereinstimmend beantragen. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass die Vorschrift auf solche Fälle, in denen wie hier der Angenommene bei der Adoption minderjährig war und zwischenzeitlich volljährig geworden ist, schon angesichts ihres klaren Wortlauts nicht unmittelbar angewendet werden kann. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Fall einer Minderjährigenadoption nach dem Eintritt der Volljährigkeit des angenommenen Kindes nicht in Betracht kommt. Von einer planwidrigen Regelungslücke kann nicht ausgegangen werden.

Hinsichtlich der zum Teil vertretenen Auffassung, dass die Aufhebung einer Minderjährigenadoption nach Eintritt der Volljährigkeit zumindest in "krassen Fällen materiellen Unrechts" ausnahmsweise entsprechend § 1771 S. 1 BGB zugelassen werden sollte, ist festzustellen, dass der Gesetzgeber bei den bisherigen größeren Teilnovellierungen des Adoptionsrechts die schon länger erhobene rechtspolitische Forderung nach einer Aufhebungsmöglichkeit in Extremfällen nicht aufgegriffen hat. Auch in Fällen, in denen - wie hier - die Adoption in katastrophaler Weise fehlschlägt, kann daher von einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz nicht mehr ausgegangen werden. Mit dieser Wertung steht es in Einklang, dass der Gesetzgeber keine rechtliche Möglichkeit zur Aufhebung einer Minderjährigenadoption aus schwerwiegenden Gründen im Interesse der Adoptiveltern eröffnet hat, und zwar bewusst auch nicht in Extremfällen "schwerer Kriminalität, die sich gegen die Eltern richtet".

Für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG besteht i.Ü. keine Veranlassung. Der Senat hält die geltende Rechtslage, auch soweit sie unter den hier gegebenen Bedingungen einer Aufhebung der Adoption entgegensteht, nicht für verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt ebenso wenig vor, wie ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG). Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Volladoption auch bei gravierendem Fehlverhalten eines Beteiligten grundsätzlich unauflösbar zu gestalten, mag nicht zwingend gewesen und rechtspolitisch diskussionswürdig sein. Den ihm von Verfassungs wegen eröffneten Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber mit den geltenden Regelungen aber nicht verlassen.

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