22.10.2014

Deutsches Familiengericht darf ausländische Sorgerechtsentscheidung abändern

Ein deutsches Familiengericht ist unter gewissen Voraussetzungen berechtigt, eine in Deutschland grundsätzlich anerkennungsfähige ausländische Sorgerechtsentscheidung am Maßstab des § 1696 BGB abzuändern. Dies gilt etwa dann, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist, da die Fürsorge für das Kind stets Vorrang hat.

OLG Hamm 15.9.2014, 3 UF 109/13
Der Sachverhalt:
Die 38-jährige Kindesmutter und ihr 13-jähriger Sohn stammen aus Rumänien. Seit der Trennung vom rumänischen Kindesvater im Jahre 2005 leben Mutter und Sohn in Deutschland. Im September 2006 sprach der rumänische Gerichtshof Oradea der Mutter mit Zustimmung des Vaters das Recht zur "Großerziehung und Belehrung" des Kindes zu und beließ es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.

Nach Schwierigkeiten der Mutter mit der Erziehung ihres Sohnes nahm das Jugendamt das Kind zunächst zeitweise in Obhut. Nachdem eine Betreuung im Haushalt der Mutter nicht möglich war, wurde der Junge im Dezember 2012 in die Wohngruppe eines Kinderheims aufgenommen, in welcher er seitdem lebt.

Das AG - Familiengericht - entzog dem Vater vollständig und der Mutter teilweise, u.a. hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitsfürsorge, die elterliche Sorge. Die hiergegen gerichtete Beschwerde, mit der die Mutter die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich beantragt hatte, um das Kind in ihren Haushalt zurückzuholen, hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Der Beschluss ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Das AG hat zutreffend das Vorliegen einer Gefährdung des Kindeswohls i.S.d. §§ 1666, 1666a BGB festgestellt. Aus diesem Grund war es auch zu einer Abänderung des Urteils des Gerichtshofes Oradea gem. § 1696 BGB berechtigt.

Die deutschen Familiengerichte sind international zuständig. Dies wird durch den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland begründet. Die deutschen Familiengerichte sind auch befugt, das Urteil des rumänischen Gerichtshofes Oradea abzuändern. Eine derartige, in Deutschland grundsätzlich anerkennungsfähige Entscheidung eines ausländischen Gerichts kann nämlich dann abgeändert werden, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Dies liegt bereits in der Natur der Sache, denn die Fürsorge für das Kind hat stets Vorrang, so dass es notwendig ist, auf eventuelle Änderungen reagieren zu können.

Auch nach dem Ergebnis der erfolgten Beweisaufnahme -insbesondere nach dem eingeholten familienpsychiatrischen Gutachten - wäre derzeit eine Gefährdung des Kindeswohls i.S.d. § 1666 BGB anzunehmen, wenn es zu einer Rückführung des Kindes in die Obhut der Kindesmutter kommen würde. Hiernach ist auch aus psychiatrischer Sicht das körperliche, geistige oder seelische Wohl des 13-jährigen Kindes bei einer Rückkehr in die Obhut der Kindesmutter gefährdet.

Der Sohn ist danach ein hoch belastetes Kind, das in seinem bisherigen Leben häufig überfordert war und dessen frühes Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit weder von seiner Mutter noch von dritten Personen beantwortet wurde. Es liegt nicht nur eine deutliche Bindungsunsicherheit vor; die massiven Gewalterfahrungen durch seine engsten Bindungspersonen - seine Mutter und seinen Stiefvater - haben bei dem Jungen zu Traumatisierungen geführt.

Traumatisierte Kinder benötigten grundsätzlich viel Sicherheit und Vorhersehbarkeit, zudem einen sicheren Ort und sichere Beziehungen. Die angebotenen Beziehungen sollten deshalb langfristig, verlässlich, wertschätzend und wohlwollend sein. Sie sollten Schutz gewähren und diesen erlebbar machen. Vor diesem Hintergrund benötige der Sohn vorliegend neben einem sicheren Ort und sicheren Beziehungen auch eine Therapie, die ihm helfe, seine Vergangenheit zu bearbeiten und zu bewältigen. Für das Kindeswohl ist es demzufolge erforderlich, der Mutter die elterliche Sorge teilweise zu entziehen.

Linkhinweis:

OLG Hamm PM vom 22.10.2014
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