Eigenbedarfskündigung: Wann ist erstmaliger Zeugenbeweis in zweiter Instanz zulässig?
BGH 23.8.2016, VIII ZR 178/15Die Beklagten sind seit September 2000 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vierzimmerwohnung des Klägers. Die Parteien stritten wegen einer Ende Oktober 2012 ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung des Klägers zum 31.6.2013. Diese wurde zunächst damit begründet, der damals 22 Jahre alte studierende Sohn des Klägers kehre aus China zurück und beabsichtige, in Deutschland einen eigenen Hausstand zu gründen und wolle mit mindestens einem Mitbewohner zusammenzuziehen. Nachdem die Beklagten die Kündigung nicht akzeptiert hatten, ergänzte der Kläger, sein Sohn wolle die Wohnung mit seinem langjährigen Freund beziehen, der ein ähnliches Studium absolviere.
Das AG gab der Räumungsklage nach Vernehmung des Sohnes statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das LG die Klage mit der Begründung ab, es liege ein weit überhöhter und damit rechtsmissbräuchlicher Wohnbedarf vor. Die Absicht, eine Wohngemeinschaft einzugehen, rechtfertige keinen höheren Eigenbedarf und es sei von einem nur auf die Dauer des Studiums bezogenen, vorübergehenden Bedarf auszugehen. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ließ der Senat die Revision zu und wies unter Aufhebung der Entscheidung den Rechtsstreit (Urt. v. 4.3.2015 Az.: VIII ZR 166/14) an eine andere Kammer des Berufungsgerichtes zurück. Dabei hatte er dem LG aufgegeben, die bislang unterbliebenen Feststellungen zu der Frage der Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches und zu dem von den Beklagten geltend gemachten Einwand nachzuholen, für die Befriedigung des Eigenbedarfswunsches habe eine vor dem 1.5.2012 freigewordene, baugleiche Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss desselben Anwesens zur Verfügung gestanden.
Im erneuten Berufungsverfahren führten die Beklagten hinsichtlich der von ihnen erläuterten Möglichkeit, die freigewordene Erdgeschosswohnung zur Befriedigung des Eigenbedarfs heranzuziehen, ergänzend aus, aus den Bekundungen des in erster Instanz vernommenen Zeugen H. sei abzuleiten, dass schon längere Zeit vor dem Freiwerden dieser Wohnung im Rahmen eines Gesprächs mit dem Freund des Sohnes der Entschluss gefasst worden sei, von zu Hause aus- und zusammenzuziehen, und dies auch mit dem Kläger besprochen worden sei. Zum Nachweis dieser Behauptung beriefen sie sich im Berufungsverfahren erstmals auf das Zeugnis von Herrn M. Das LG hat von einer Beweisaufnahme abgesehen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Auf die nun von den Beklagten erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hob der BGH das Urteil des LG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Berufungsgerichtes zurück.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügte zu Recht, dass die angefochtene Entscheidung den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Einvernahme des Zeugen M. zur Behauptung nicht nachgegangen war, der Entschluss zur Gründung einer Wohngemeinschaft mit dem Zeugen M. sei schon vor dem 1.5.2012 gefasst worden. Denn unterstellt ein Gericht nur einen unwesentlichen Teil eines zusammenhängenden Vortrags einer Partei als wahr, während es den wesentlichen, entscheidungserheblichen Vortrag und den hierzu erfolgten Beweisantritt übergeht, liegt darin eine Gehörsverletzung.
Zwar gehört zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters auch die Entscheidung darüber, von welchem Zeitpunkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung geben soll. Dabei ist auch zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließen oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass in dem Fall, in dem - wie hier - wenige Monate vor dem geltend gemachten Eigenbedarf eine geeignete Alternativwohnung frei geworden ist, nicht der Frage nachzugehen wäre, wann der die Eigenbedarfssituation auslösende Nutzungsentschluss konkret gefasst wurde.
Denn wenn ein bereits endgültig feststehender Nutzungsentschluss nicht in einer vergleichbaren und freigewordenen Wohnung im selben Anwesen realisiert, sondern erst nach der Weitervermietung einer solchen Alternativwohnung in die Tat umgesetzt worden wäre, könnte dies Zweifel an der vom Tatrichter unter Würdigung aller Gesamtumstände zu prüfenden Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches aufkommen lassen. Anders lägen die Dinge, wenn es plausible Gründe für das Hinausschieben der Umsetzung eines feststehenden Nutzungsentschlusses gäbe oder die Nutzungsabsicht aus nachvollziehbaren Gründen erst zu einem Zeitpunkt endgültig gefasst worden wäre, als eine geeignete Alternativwohnung nicht mehr zur Verfügung stand. Im Fall eines schon vor der Weitervermietung einer freigewordenen geeigneten Alternativwohnung endgültig gefassten Nutzungsentschlusses käme zudem eine Rechtsmissbräuchlichkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung in Betracht.
Die in der unterbliebenen Beweiserhebung liegende Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich. Denn es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung des Zeugen M. und einer - dann gegebenenfalls gebotenen - ergänzenden Anhörung des Zeugen H. zu einer anderen Beurteilung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches oder der Möglichkeit, den Eigenbedarf in der zum 1.5.2012 weitervermieteten Erdgeschosswohnung zu befriedigen, gelangt wäre.
Linkhinweise:
- Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für den Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.