Erste Hilfe durch Lehrer als Amtspflicht
OLG Frankfurt a.M. 25.1.2018, 1 U 7/17Der Kläger hatte während des Sportunterrichts einen körperlichen Zusammenbruch erlitten, dessen Ursache unbekannt ist und der zu einem irreversiblen Hirnschaden geführt hat. Etwa fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings hörte der Kläger auf zu laufen, stellte sich an die rechte Seite des Garagentors der Sporthalle und erklärte, er habe Kopfschmerzen. Er fasste sich an den Kopf und rutschte sodann an der Wand entlang in eine Sitzposition.
Um 15.27 Uhr ging der von einer Zeugin ausgelöste Notruf bei der Notrufzentrale ein. Sie wurde gefragt, ob der Kläger noch atme, und erhielt sodann die Anweisung, den Kläger in die stabile Seitenlage zu verbringen. Um 15.32 Uhr traf der Rettungswagen und um 15.35 Uhr der Notarzt ein. Die Sanitäter begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die ca. 45 Minuten dauerten. Der Notarzt verbrachte den Kläger in die Klinik. Im Aufnahmebericht war u.a. vermerkt: "Beim Eintreffen des Notarztes bereits eine 8-minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation".
Der Kläger, der seitdem als Schwerbehinderter anerkannt ist, verlangte von dem beklagten Land Ersatz immateriellen und materiellen Schadens mit der Behauptung, sein gesundheitlicher Zustand sei eine unmittelbare Folge des erlittenen hypoxischen Hirnschadens bei mangelnder Sauerstoffversorgung infolge einer unterlassenen Reanimation durch die Lehrkräfte. Das LG wies die Klage ab. Auch die Berufung des Klägers vor dem OLG blieb erfolglos. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz aus dem - allein in Betracht kommenden - rechtlichen Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
Im Rahmen ihrer Amtspflicht haben Lehrer zwar nicht nur für die geistige, körperliche und charakterliche Erziehung der Schüler zu sorgen; die hoheitliche Aufsichtspflicht umfasst vielmehr auch die Pflicht, die ihnen anvertrauten Schüler im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden zu bewahren. § 3 der zum Zeitpunkt des Vorfalls geltenden Verordnung über die Aufsicht über Schülerinnen und Schüler vom 28.3.1985 in der Fassung vom 20.12.2005 (nachfolgend AufsVO aF), der die Aufsichtspflicht regelt, enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung hinsichtlich der Pflicht zum Ergreifen von Erste-Hilfe-Maßnahmen. Eine solche Pflicht ist erst in der - nach dem hier streitgegenständlichen Vorfall in Kraft getretenen - Verordnung über die Aufsicht über Schülerinnen und Schüler vom 11.12.2013 (nachfolgend: AufsVO nF) in § 5 Abs. 1 ausdrücklich aufgeführt.
Die Vorschrift bestimmt, dass, wenn eine Schülerin oder ein Schüler verletzt oder spontan erkrankt ist, Erste Hilfe zu leisten ist; Abs. 4 dieser Regelung bestimmt zudem, dass u.a. zur Aufsicht verpflichtete Personen, die Sportunterricht erteilen, als Ersthelferin oder Ersthelfer ausgebildet sein müssen. Da die hoheitliche Aufsichtspflicht aber - wie ausgeführt - auch die Pflicht umfasst, Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden zu bewahren, bestand auch vor Inkrafttreten der neuen Verordnung außer der Pflicht, Schülerinnen und Schüler im Schulsport nicht in einer die Gesundheit gefährdenden Weise zu belasten, die Pflicht, etwa erforderliche und zumutbare Erste Hilfe rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise zu leisten, als Amtspflicht.
Ob eine Verletzung dieser Amtspflicht im vorliegenden Fall darin begründet sein könnte, dass den Lehrkräften bei der Hilfeleistung Versäumnisse unterlaufen waren, bedurfte letztlich keiner Entscheidung. Denn nach dem Beweisergebnis ließ sich nicht feststellen, dass sich ein Unterlassen einer ausreichenden Kontrolle der Vitalfunktion und etwa bis zum Eintreffen der Rettungskräfte gebotener Reanimationsmaßnahmen kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt hatten. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden, auf § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gestützten Amtshaftungsansprüche trägt nämlich der Geschädigte grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale, d.h., er trägt auch die Beweislast für die Kausalität zwischen fehlerhafter Vorgehensweise bzw. Unterlassen der gebotenen Maßnahmen und dem eingetretenen Schaden.
Dieser Beweisgrundsatz hat auch im Streitfall Geltung. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr lagen nicht vor. Auch die im Zuge des Arzthaftungsrechtes entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung waren vorliegend nicht anwendbar. Ebenso wie die Beweislastregel des § 832 BGB.
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