09.10.2017

Ersteher ersteigerter Immobilien müssen bei eigenmächtiger Inbesitznahme Verzeichnis über vorgefundene Gegenstände erstellen

Nimmt der Ersteher die ersteigerte Immobilie eigenmächtig in Besitz, trifft ihn die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen, von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen und deren Wert schätzen zu lassen. Kommt er dem nicht nach, muss er beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind.

BGH 23.6.2017, V ZR 175/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin und ihr Ehemann waren Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Nach Anordnung der Zwangsversteigerung im Jahr 2008 erhielt der Beklagte im Dezember 2009 den Zuschlag. Er nahm das Haus ohne Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers in Besitz und ließ es durch eine private Firma räumen. Einen Teil der vorgefundenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände gab er in ein Auktionshaus. Im April 2010 wurde das Haus abgerissen.

Die Klägerin verlangte zunächst - aus eigenem und abgetretenem Recht - von dem Beklagten die Herausgabe einer Vielzahl von Gegenständen, im Wesentlichen Bilder und Möbelstücke, die sich in dem Haus befunden haben sollen. Im Verfahren vor dem LG erklärten die Parteien hinsichtlich zahlreicher Einzelpositionen den Rechtsstreit für erledigt; hinsichtlich weiterer Positionen nahm die Klägerin die Klage zurück. Zuletzt verlangte sie Schadensersatz i.H.v. rd. 570.000 € wegen Nichtherausgabe von Gegenständen, weitere 500 € wegen unberechtigter Wegnahme eines Geldscheins sowie Schadensersatz i.H.v. rd. 30.000 € wegen Beschädigungen an den zurückgegebenen Gegenständen.

LG und OLG gaben der Klage teilweise statt und verurteilten den Beklagten, an die Klägerin 4.310 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen wiesen sie die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat nicht frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die Klägerin für den Bestand der in dem Haus befindlichen Objekte sowie für deren Zustand und Wert im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Beklagten beweispflichtig ist.

Grundsätzlich hat nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung derjenige, der einen anderen wegen verbotener Eigenmacht auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Allerdings hat der BGH in den Fällen der sog. kalten Räumung, wenn also ein Vermieter die Wohnung seines Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Räumungstitels in verbotener Eigenmacht in Besitz nimmt, eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Vermieters angenommen. Diesen trifft für die in der Wohnung befindlichen Gegenstände eine (nach-)vertragliche Obhutspflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, zu der auch die Pflicht gehört, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters zu wahren. Er hat deshalb nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass an den in Besitz genommenen Gegenständen keine Beschädigungen oder Verluste eintreten; vielmehr obliegt es ihm auch, bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Mieter eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen.

Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn ein Ersteher in der Zwangsversteigerung die ersteigerte Immobilie und die von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Einrichtungsgegenstände ohne Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers eigenmächtig in Besitz nimmt. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es nicht an der für eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erforderlichen Sonderverbindung zwischen dem Ersteher und dem Zwangsversteigerungsschuldner. Durch den Vollstreckungszugriff entsteht zwischen dem Ersteher als Vollstreckungsgläubiger und dem Schuldner eine gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art, aus der Sorgfaltspflichten gegenüber dem anderen Teil erwachsen. Aus der durch den Vollstreckungszugriff begründeten Sonderverbindung und den daraus erwachsenen Sorgfaltspflichten folgt die Pflicht des Erstehers, die Interessen des Schuldners zu wahren und diesem die Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen.

Erfolgt der Vollstreckungszugriff auf die ersteigerte Immobilie unter Umgehung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens, ändert dies nichts daran, dass der Ersteher aufgrund der bestehenden Sonderverbindung auf die Interessen des Schuldners Rücksicht zu nehmen hat. Ihn trifft daher die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen, das einen zuverlässigen Überblick über den vorhandenen wesentlichen Bestand und Zustand der Sachen bietet, und deren Wert schätzen zu lassen. Kommt der Ersteher der Obliegenheit zur Dokumentation nicht nach, hat er im Streitfall - ebenso wie der Vermieter bei der "kalten Räumung" - zu beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind.

Danach trägt grundsätzlich der Beklagte, der seiner Obliegenheit zur Erstellung eines Verzeichnisses nicht nachgekommen ist, die Darlegungs- und Beweislast für sein Vorbringen, dass sich die von der Klägerin benannten Gegenstände bei der Inbesitznahme des Hauses nicht mehr darin befunden hätten oder wegen massiver Schäden wertlos gewesen seien und dass die zurückgegebenen Möbelstücke und Kunstgegenstände bei Inbesitznahme bereits die beanstandeten Beschädigungen aufgewiesen hätten. Die Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang treffen kann.

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