06.10.2016

Fall Kunduz: Deutsches Amtshaftungsrecht ist nicht auf bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr anwendbar

Das deutsche Amtshaftungsrecht findet auf Schadensfälle, die bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte ausländischen Bürgern zugefügt werden, keine Anwendung. Es besteht zudem nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zusteht.

BGH 6.10.2016, III ZR 140/15
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind afghanische Staatsangehörige. Sie nehmen die beklagte Bundesrepublik Deutschland mit der Behauptung auf Schadensersatz in Anspruch, nahe Angehörige seien bei einem Militäreinsatz getötet worden. Der Klage liegt ein Luftangriff auf zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tanklastzüge zugrunde, die in der Nähe von Kunduz in Afghanistan auf einer Sandbank liegengeblieben waren. Diese wurden auf Befehl des Kommandeurs des Provincial Reconstruction Teams (PRT) im Feldlager Kunduz, eines Offiziers der Bundeswehr, am 4.9.2009 im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes durch zwei US-amerikanische Kampfflugzeuge zerstört. Dabei kamen auch Zivilisten ums Leben.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Den Klägern steht kein unmittelbarer völkerrechtlicher Schadensersatzanspruch zu. Sie haben auch keinen Schadensersatzanspruch nach nationalem (deutschen) Recht, da das Amtshaftungsrecht (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG) auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht anwendbar ist.

Es besteht nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zusteht. Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu, der seinen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz gewährt. Bei der Schaffung von § 839 BGB dachte der Gesetzgeber nicht daran, dass hierdurch auch Schäden durch militärische Kampfhandlungen im Ausland ersatzfähig sein sollten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs stand rechtlich außer Frage, dass militärische (Kriegs-)Handlungen im Ausland vom damaligen Amtshaftungstatbestand ausgenommen waren. Und auch bei Erarbeitung der Vorschrift des Art. 34 GG und Inkrafttreten des GG hatte der historische Gesetzgeber weder die Aufstellung deutscher Streitkräfte noch deren Beteiligung an Kampfhandlungen im Ausland im Blick.

Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Amtshaftungstatbestands bei Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland sprechen auch systematische Erwägungen in Bezug auf das völkerrechtliche Haftungsregime, das als eine das nationale Recht überlagernde, speziellere Regelung anzusehen ist. Die Werteordnung des GG zwingt nicht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Amtshaftungsnormen. Würde man das anders sehen, könnte es in mehrfacher Hinsicht zu Beeinträchtigungen der von Verfassungs wegen geforderten Bündnisfähigkeit Deutschlands und des außenpolitischen Gestaltungsspielraums kommen (z.B. Zurechnung völkerrechtswidriger Handlungen eines anderen Bündnispartners, kaum eingrenzbare - gesamtschuldnerische - Haftungsrisiken). Unter dem Gesichtspunkt der Haushaltsprärogative des Parlaments ist die Entscheidung über die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen im Zusammenhang mit bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte dem Gesetzgeber vorbehalten und kann nicht Gegenstand richterlicher Rechtsfortbildung sein.

Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts scheitert ein hierauf gestützter Schadensersatzanspruch der Kläger im Streitfall jedenfalls daran, dass im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf die beiden entführten Tanklastwagen keine Amtspflichtverletzungen deutscher Soldaten oder Dienststellen im Sinne konkreter schuldhafter Verstöße gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrecht zum Schutze der Zivilbevölkerung festgestellt sind. Das OLG hat seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass für den PRT-Kommandeur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten die Anwesenheit von Zivilpersonen im Zielbereich des Luftangriffs objektiv nicht erkennbar war. Die getroffene militärische Entscheidung war daher völkerrechtlich zulässig.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 176 vom 6.10.2016