14.01.2015

Gegen die Übermittlung von Daten aus Gerichtsakten an eine nicht verfahrensbeteiligte Behörde ist effektiver Rechtsschutz erforderlich

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verlangt, dass die Übermittlung von Aktenbestandteilen während eines zivilgerichtlichen Verfahrens an eine nicht an diesem Verfahren beteiligte Behörde gerichtlich überprüfbar ist. Die Fachgerichte haben die vom Gesetzgeber bereitgestellten Rechtsschutzmöglichkeiten so auszulegen und anzuwenden, dass dem Ziel genügt wird, wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten; eine Auslegung, die zu Lücken in dem vom Gesetzgeber als umfassend konzipierten Rechtsschutz führt, wird den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht.

BVerfG 2.12.2014, 1 BvR 3106/09
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war als Beamter mit der Bearbeitung von Asylanträgen betraut. Über eine Kontaktanzeige lernte er eine Frau kennen, die erfolglos Asyl beantragt hatte. Zwischen dem Beschwerdeführer und dieser Frau kam es zu mehreren Treffen, bei denen eine gemeinsame Tochter gezeugt wurde. Da der Beschwerdeführer die Vaterschaft nicht anerkannte, strengte die Kindesmutter ein familiengerichtliches Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft an, das vor dem AG und dem OLG geführt wurde.

Die Dienstbehörde des Beschwerdeführers bat das AG um Mitteilung, ob Presseberichte über einen Beschluss des OLG zuträfen, der Beschwerdeführer habe sich "durch wahrheitswidrige Behauptungen Vorteile verschaffen" wollen. Das Ersuchen erfolge im Hinblick auf die Prüfung dienstrechtlicher Maßnahmen. Der am AG mit dem familiengerichtlichen Verfahren befasste Richter verfügte daraufhin ohne weitere Begründung, der Dienstbehörde "unter Bezugnahme auf die Anfrage" Kopien des Beschlusses des OLG mit geschwärztem Namen der Mutter zu übersenden.

Der Beschwerdeführer beantragte beim OLG daraufhin die Feststellung, dass die Weitergabe von Aktenbestandteilen aus seinem nicht öffentlich verhandelten familienrechtlichen Verfahren an die nicht verfahrensbeteiligte Dienstbehörde rechtswidrig gewesen sei. Das OLG wies den Antrag als unzulässig zurück; das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG sei vorliegend nicht eröffnet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffene Entscheidung des OLG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Entgegen der Ansicht des OLG kann dem Beschwerdeführer Rechtsschutz nicht mit dem Hinweis darauf verweigert werden, dass die Übermittlung von Aktenbestandteilen an eine nicht verfahrensbeteiligte Behörde während eines Verfahrens spruchrichterliche Tätigkeit sei. Die Auslegung und Anwendung des maßgeblichen Verfahrensrechts durch das OLG verwehren dem Beschwerdeführer wirkungsvollen Rechtsschutz in unzumutbarer Weise.

Die Übermittlung personenbezogener Daten aus den Akten zivilgerichtlicher Verfahren an private Dritte und an andere Gerichte oder an Behörden und der hiergegen eröffnete Rechtsschutz sind nicht einheitlich und an verschiedenen Stellen geregelt. Den einschlägigen Vorschriften ist jedoch gemein, dass für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Übermittlung im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG der Rechtsweg zum OLG eröffnet wird, sofern kein anderer Rechtsweg zur Verfügung steht. Dies legt die Intention des Gesetzgebers nahe, in allen genannten Konstellationen eine Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung zu eröffnen.

Daher hätte eine Auslegung der maßgeblichen Vorschriften, die auch dem Beschwerdeführer den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet hätte, dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprochen und die Grenze zulässiger Auslegung einfachen Rechts nicht überschritten. Demgegenüber hat das OLG eine Auslegung vorgenommen, die gerade und allein für den Fall, dass Daten aus schwebenden Verfahren an öffentliche Stellen auf deren Ersuchen übermittelt werden, jeglichen Rechtsweg ausschließt. Dies steht in Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG.

Der Hinweis des OLG, der Beschwerdeführer könne in einem gerichtlichen Verfahren gegen eine möglicherweise ergehende Disziplinarverfügung ein etwaiges verfassungsrechtliches Verwertungsverbot geltend machen, ist hier nicht tragfähig. Die Dienstbehörde erhält schon durch die Übermittlung Kenntnis von höchstpersönlichen Daten, bevor der Beschwerdeführer Rechtsschutz erlangen oder sich überhaupt äußern kann. Selbst der nachgelagerte Rechtsschutz steht dem Beschwerdeführer nur dann offen, wenn es tatsächlich zu einer Verwertung der übermittelten Daten kommt. Verwertet die Dienstbehörde die übermittelten Daten nicht oder unterbleibt eine im Rechtsweg angreifbare Disziplinarentscheidung aus anderen Gründen, hat der Beschwerdeführer keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Übermittlung gerichtlich überprüfen zu lassen.

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BVerfG PM Nr. 2 vom 14.1.2015
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