20.07.2016

Gewerberaummiete: Übertragung der Wertung des § 940a Abs.2 ZPO auf die Prüfung des Verfügungsgrundes aus § 940 ZPO

Eine analoge Anwendung des § 940a Abs.2 ZPO auf Gewerberaummietverhältnisse scheitert mangels Regelungslücke; sind aber dessen Voraussetzungen erfüllt, kann sich daraus im Wege eines Erst-Recht-Schlusses ein typisierter Verfügungsgrund i.S.d. § 940 ZPO ergeben.

LG Krefeld, 8.3.2016, 2 S 60/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Eigentümer eines Objekts, welches er zum Betrieb eines Saunaclubs verpachtet hatte. Das Pachtverhältnis war beendet und die Pächterin wurde mit rechtskräftigem Urteil des LG zur Räumung verurteilt. Die Räumungsvollstreckung wurde auf Erinnerung der Beklagten einstweilig eingestellt, nachdem diese unter Vorlage eines Mietvertrages geltend gemacht hatte, ein Zimmer in dem Pachtobjekt angemietet zu haben. Daraufhin begehrte der Kläger im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren von der Beklagten die Räumung des Zimmers mit der Behauptung, er habe von dem Mietverhältnis erst nach der letzten mündlichen Verhandlung im erwähnten Räumungsrechtsstreit erfahren. Erstinstanzlich war zudem umstritten, ob die Beklagte in dem Raum lediglich ihr Gewerbe als Prostituierte ausübte oder ob sie dort auch ihre Wohnung hatte.

Das AG verurteilte die Beklagte im November 2015 zur Räumung. Hiergegen wendete sich die Berufung der Beklagten; das AG habe nicht offen lassen dürfen, ob es sich um ein Wohnraum- oder um ein Gewerberaummietverhältnis gehandelt habe, da § 940a Abs.2 ZPO auf Letztere nicht anwendbar sei. Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das LG sah dabei die Beklagte als voraussichtlich Unterlegene an.

Die Gründe:
Nachdem der Pachtvertrag zwischen dem Kläger und der ehemaligen Pächterin beendet war, stand ihm gegen die Beklagte ein Verfügungsanspruch auf Räumung des streitgegenständlichen Zimmers aus § 546 Abs.2 BGB zu.

Sollten die Pächterin und die Beklagte ein Wohnraummietverhältnis geschlossen haben, so ergäbe sich ein Verfügungsgrund aus § 940a Abs.2 ZPO. Danach darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Räumungsprozesses Kenntnis erlangt hat. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.  Sollte zwischen der Pächterin und der Beklagten ein Gewerberaummietverhältnis bestanden haben, so wäre § 940a Abs.2 ZPO nicht unmittelbar anwendbar. Eine analoge Anwendung von § 940a Abs.2 ZPO auf Gewerberaummietverhältnisse hat die Vorinstanz zutreffend verneint. Es fehlt an einer Regelungslücke, denn der Gesetzgeber hat die Regelung ausdrücklich auf Wohnraummietverhältnisse beschränkt. Abgesehen davon schränkt § 940a ZPO nur die Möglichkeit von Räumungsverfügungen bei Wohnraummietverhältnissen ein, woraus im Umkehrschluss folgt, dass sie bei anderen Mietverhältnissen grundsätzlich möglich sind.

Vor Inkrafttreten von § 940a Abs.2 ZPO war anerkannt, dass hohe Anforderungen an den Verfügungsgrund einer Räumungsverfügung zu stellen sind, weil die Räumung in der Regel zur endgültigen Befriedigung des Vermieters führt, was mit dem vorläufigen Charakter einer einstweiligen Verfügung nur in Ausnahmefällen als vereinbar angesehen wurde. Diese Rechtsprechung kann angesichts § 940a Abs.2 ZPO nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Die Wertungen des § 940a Abs.2 ZPO müssen auch im Rahmen des § 940 ZPO berücksichtigt werden. Dies beruht auf einem Erst-Recht-Schluss. Wenn der Gesetzgeber es bei einem Wohnraummietverhältnis zulässt, dass der Mieter bei Vorliegen der Voraussetzungen seine grundrechtlich geschützte Wohnung im Wege der einstweiligen Verfügung verlieren kann, muss dies erst Recht bei einem Gewerbeobjekt möglich sein, das zwar auch einer grundrechtlich geschützten Tätigkeit dient, aber nicht den höchstpersönlichen Bereich der Lebensführung betrifft und nicht Rückzugsraum für den Mieter und Angehörige ist.

Durch § 940a Abs.2 ZPO hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass der Besitz eines Dritten für den Vermieter derart nachteilig und eine auf Räumung gerichtete Prozessführung in der Hauptsache derartig erfolgversprechend ist, dass eine endgültige Befriedigung im Wege der Leistungsverfügung ausnahmsweise auch im einstweiligen Rechtsschutz erlaubt ist. Daher kann auch bei Gewerberaummietverhältnissen die Erfüllung der Voraussetzungen des § 940a Abs.2 ZPO (mit Ausnahme des Wohnraummietverhältnisses) als typisierte Bedingung für die Annahme eines Verfügungsgrundes gesehen werden; es liegt dann ein wesentlicher Nachteil i. S. v. § 940 ZPO vor. Bei § 940 ZPO ist dann zu beachten, dass - anders als bei Wohnraummietverhältnissen- die Erfüllung der Voraussetzungen des § 940a Abs.2 ZPO nicht zwingend bedeutet, dass ein Verfügungsgrund anzunehmen ist. Da lediglich die Wertungen im § 940 ZPO übernommen werden, scheinen  Umstände nicht ausgeschlossen zu sein, die die Annahme eines besonderen Nachteils hindern und damit die Annahme eines Verfügungsgrundes unmöglich werden lassen. Derartige Anhaltspunkte sind vorliegend weder ersichtlich noch vorgetragen.

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