Herstellung eines zweiten Rettungsweges kann von einzelnen Wohnungseigentümern beansprucht werden
BGH 23.6.2017, V ZR 102/16Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Souterrain der Anlage befinden sich die Einheiten K1, K2 und K3. Der Kläger zu 1) kaufte die Einheit K2, der Kläger zu 2) die Einheit K3. Zu Gunsten der Kläger wurden jeweils Auflassungsvormerkungen in die Grundbücher eingetragen, und sie erlangten durch Übergabe Besitz. Die Eigentumsumschreibung ist noch nicht erfolgt. Der auf die Einheit K2 entfallende Miteigentumsanteil ist nach der Teilungserklärung vom 23.10.2008 verbunden mit "dem Sondereigentum an sämtlichen Räumen der im Aufteilungsplan mit Nr. K2 bezeichneten, nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen im Souterrain". Eine entsprechende Regelung enthält die Teilungserklärung für die Einheiten K1 und K3. Nach der Gemeinschaftsordnung (GO) dient das Sondereigentum an Wohnungen ausschließlich zu Wohnzwecken. Weiter enthält § 4 Abs. 2 GO folgende Bestimmung:
"Die Gewerbeflächen dürfen zu baurechtlich zulässigen gewerblichen Zwecken genutzt werden - die im Aufteilungsplan angegebene Nutzung ist nicht die allein maßgebliche. (...) Der Wohnungs- bzw. Teileigentümer ist verpflichtet, auf seine Kosten alle erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen einzuholen und hat alle mit der Nutzungsänderung in Zusammenhang stehenden Kosten und Lasten zu tragen."
Die Nutzung der Souterraineinheiten zu Aufenthaltszwecken ist bauordnungsrechtlich nicht genehmigt, weil die Räume in den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen als "Kellerraum" bezeichnet werden. Der Kläger zu 1) beantragte eine bauordnungsrechtliche Nutzungsänderung, um seine Einheit (K2) als Aufenthaltsraum nutzen zu können. Nach dem hierzu gem. § 67 Abs. 1 BauO Berlin a.F. (nunmehr § 66 Abs. 1 BauO Berlin) eingereichten Brandschutznachweis muss ein zweiter Rettungsweg geschaffen werden. Auf dieser Grundlage teilte die Behörde im Jahr 2013 gem. § 63 Abs. 3 BauO Berlin a.F. (nunmehr § 62 Abs. 3 BauO Berlin) mit, dass ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt werden solle und eine vorläufige Untersagung nicht ausgesprochen werde. Die Kläger wollten erreichen, dass der zweite Rettungsweg durch eine Fluchttreppe im Freien hergestellt wird.
In der Eigentümerversammlung vom 21.8.2014 wurde ein entsprechender Antrag abgelehnt. Dagegen wandten sich die Kläger mit der Anfechtungsklage. AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Gründe:
Als rechtsfehlerhaft erwies sich die Annahme des Berufungsgerichtes, es handele sich deshalb nicht um die erstmalige Herstellung eines der Teilungserklärung entsprechenden Zustands, weil die Einheiten im Souterrain nicht zu Wohnzwecken dienten, sondern als Teileigentum anzusehen seien. Mit dieser Schlussfolgerung verkannte das Berufungsgericht, dass grundsätzlich auch Teileigentumseinheiten dazu geeignet sein müssen, als Aufenthaltsraum zu dienen. Da die Bezeichnung "Teileigentum" jede gewerbliche Nutzung zulässt, sind auch Nutzungen erlaubt, die - wie etwa eine Büronutzung - bauordnungsrechtlich nur in Aufenthaltsräumen vorgenommen werden dürfen, also in Räumen, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind.
Demzufolge gehört es (vorbehaltlich weiterer vereinbarter Nutzungsbeschränkungen) zu dem plangerechten Zustand einer Teileigentumseinheit, dass die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an einen Aufenthaltsraum erfüllt sind; dafür erforderliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum wie die bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Herstellung eines zweiten Rettungswegs (vgl. § 2 Abs. 5, § 33 BauO Berlin) entsprechen regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung und können von einzelnen Wohnungseigentümern gem. § 21 Abs. 4 WEG beansprucht werden.
Zwar steht fest, dass die Kläger die Schaffung eines zweiten Rettungswegs verlangen können. Da der Gemeinschaft bei der Schaffung des zweiten Rettungswegs unter Beachtung bauordnungsrechtlicher Vorgaben grundsätzlich ein Ermessen zusteht, können die genannten Anträge nur dann Erfolg haben, wenn die beantragte Herstellungsweise - wie es die Kläger behaupten - die einzig mögliche Ausführung darstellt. Ob es Alternativen gibt, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang nicht aufgeklärt. Dies wird nachzuholen sein.
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