21.03.2019

Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG

Der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG für einen vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erfüllung gemäß § 103 Abs. 2 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzver­fahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Kurzbesprechung
BFH v. 15.1. 2019 - VII R 23/17

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 103 Abs. 2

GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 2

 

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren.

 

Im Streitfall war das FA das in Rede stehende Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist.

 

Der nach dieser Regelung entstehende Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines bereits ergangenen Grunderwerbsteuerbescheids führt nicht zum Erlöschen des einmal wirksam entstandenen ursprünglichen Steueranspruchs. Der Anspruch nach § 16 GrEStG ist vielmehr ein weiterer (gegenläufiger), eigenständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO, der selbständig neben den Steueranspruch tritt. Es handelt sich nicht um einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO.

 

Dies hat zur Folge, dass der Anspruch aus § 16 GrEStG die Rechtmäßigkeit der für den ursprünglichen Erwerbsvorgang vorgenommenen Besteuerung unberührt lässt. Damit gewährt § 16 Abs. 1 GrEStG - ebenso wie §§ 14c Abs. 2 und 17 Abs. 2 UStG - einen eigenständigen Berichtigungsanspruch.

 

"Rückgängig gemacht" i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht materiell-rechtlich der Anspruch aus § 16 GrEStG. Dementsprechend ist der Anspruch aus § 16 Abs. 1 GrEStG auch erst zu diesem Zeitpunkt vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen.

 

Im Streitfall war der Erwerb der mit Bauträgervertrag vom 28.12. 2005 verkauften Miteigentumsanteile erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG sind damit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen. Dementsprechend ist auch der Anspruch aus § 16 GrEStG materiell-rechtlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden mit der Folge, dass das FA das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist.

 

Beraterhinweis: Soweit der BFH in seinem Urteil v. 17.4.2007 - VII R 27/06, BStBl II 2009, 589 von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hält er daran insbesondere im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung zu § 17 Abs. 2 UStG (BFH v. 25.7.2012 - VII R 29/11, BStBl II 2013, 36) und zu § 14c Abs. 2 UStG (BFH v. 8.11.2016 - VII R 34/15, BStBl II 2017, 496) nicht mehr fest.

 

BFH, Urteil vom 15.1.2019, VII R 23/17, veröffentlicht am 20.3.2019.

Verlag Dr. Otto Schmidt