14.10.2011

Interessengegensätze zwischen Kind und Eltern führen nicht zwangsläufig zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis

Das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führt nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Sowohl die bewusste Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht als auch das mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit verfolgte Ziel einer raschen und damit schonenden Konfliktlösung in Kindschaftssachen sprechen für den Verfahrensbeistand als vorrangigen Interessenvertreter des Kindes.

BGH 7.9.2011, XII ZB 12/11
Der Sachverhalt:
Das fünfjährige Kind der nicht miteinander verheirateten und seit 2007 getrennt lebenden Beteiligten wechselte im Mai 2008 mit Zustimmung der Mutter in den Haushalt des Vaters. Beide sind aufgrund von Sorgeerklärungen gemeinsam Inhaber der elterlichen Sorge. Die Mutter erstrebte später in einem weiteren Verfahren (Kindschaftsverfahren) den Wechsel des Kindes in ihre Obhut und beantragte die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

Auf eine entsprechende Bitte der im Kindschaftsverfahren zuständigen Richterin hat die Rechtspflegerin des FamG eine Ergänzungspflegschaft für das Kindschaftsverfahren angeordnet und das Kreisjugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter hatte das OLG zurückgewiesen. Auf die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH die Ergänzungspflegschaft auf.

Die Gründe:
Die Bestellung eines Ergänzungspflegers durch das AG und die damit verbundene Entziehung der Vertretungsbefugnis war nicht geboten und demzufolge unzulässig.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistands war im vorliegenden Fall zulässig und ausreichend. Zwar ist das Verhältnis von Verfahrensbeistandschaft und Ergänzungspflegschaft nach Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis umstritten. Das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führt allerdings nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist, steht dem nicht entgegen. Da es sich bei der Entziehung der Vertretungsbefugnis um einen Eingriff in das Elternrecht handelt, ist vielmehr der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Daher hat das Gericht vor Entziehung der Vertretungsbefugnis in jedem Fall zu prüfen, ob dem Interessengegensatz nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Wenn mildere Maßnahmen möglich sind, um dem Interessenkonflikt wirksam zu begegnen, ist die Entziehung der Vertretungsbefugnis übermäßig und daher rechtswidrig. Davon war das OLG zwar im Ansatz ausgegangen. Es hat allerdings die Bestellung des Verfahrensbeistands nicht als gleich wirksame Maßnahme angesehen. Damit hat es die vom Gesetzgeber im Zuge der FGG-Reform getroffenen Wertungen und die darauf beruhende Gesetzessystematik nicht hinreichend beachtet.

Sowohl die bewusste Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht als auch das mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit verfolgte Ziel einer raschen und damit schonenden Konfliktlösung in Kindschaftssachen sprechen für den Verfahrensbeistand als vorrangigen Interessenvertreter des Kindes. Dass die Konsequenz der fortbestehenden Vertretungsbefugnis der Eltern vom Gesetzgeber gesehen und auch gewollt war, belegt abermals die Gesetzesbegründung, indem sie ausdrücklich herausgestellt hat, dass die Eltern auch nach der Bestellung des Verfahrensbeistands in vollem Umfang zur Vertretung des Kindes berechtigt sind.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück