13.02.2015

Kaiserschnitt: Keine doppelte Aufklärungspflicht

Besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass die Schnittentbindung ("Kaiserschnitt") im weiteren Verlauf als relativ indiziert anzusehen sein wird, und klärt der Arzt die Schwangere in Hinblick darauf über die verschiedenen Entbindungsmethoden und die mit ihnen verbundenen Risiken auf, so muss er sie grundsätzlich nicht nochmals über die Möglichkeit der Schnittentbindung unterrichten, wenn die ernsthaft für möglich gehaltene Entwicklung eingetreten und die Sectio zur gleichwertigen Behandlungsalternative geworden ist.

BGH 28.10.2014, VI ZR 125/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Februar 2005 nach 31 + 1 Schwangerschaftswochen in der Frauenklinik der Beklagten geboren worden und leidet seitdem an einer Hirnschädigung unter schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Bei seiner Mutter waren während der Schwangerschaft wiederholt Nierenbeckenentzündungen aufgetreten. Außerdem litt sie unter Schwangerschaftsdiabetes. Am Tag ihrer stationären Aufnahme nach 29 + 2 Schwangerschaftswochen wurden Entzündungsparameter nachgewiesen.

Der Mutter des Klägers wurden daraufhin wehenhemmende Mittel und Antibiotika verabreicht. Darüber hinaus erfolgte eine medikamentöse Induktion der fetalen Lungenreife durch zweimalige Verabreichung von Celestan. Nach einem vorzeitigen Blasensprung wurden die wehenhemmenden Mittel abgesetzt und die Mutter unter fortlaufender CTG-Registrierung an einen Wehentropf angeschlossen. Das CTG verzeichnete einen zunehmend auffälligen Verlauf der fetalen Herzfrequenz. Nachdem das CTG ein pathologisches Muster gezeigt hatte, fassten die behandelnden Ärzte den Entschluss zur Notsectio. Nach der Geburt musste der Kläger reanimiert werden. Eine histologische Untersuchung der Plazenta nach der Geburt ergab das Vorliegen einer akuten eitrigen Chorioamnionitis bei der Mutter.

Das LG war von mehreren Behandlungsfehlern ausgegangen, die es in ihrer Gesamtheit als grob qualifizierte. Das OLG stützte die Haftung hingegen auf eine unzureichende Aufklärung über Behandlungsalternativen und formulierte den Feststellungsausspruch zur Klarstellung dahingehend um, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den aus dem ohne wirksame Einwilligung erfolgten Versuch einer vaginalen Geburt mit anschließender Notsectio entstandenen und noch entstehenden immateriellen und materiellen Schaden zu ersetzen.

Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Ärzte der Beklagten hätten die Mutter des Klägers trotz der bereits erfolgten Aufklärung über die Möglichkeit der Schnittentbindung nochmals über diese Behandlungsalternative unterrichten müssen, wurde von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Eine Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit ist erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Der geburtsleitende Arzt braucht in einer normalen Entbindungssituation, in der die Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen.

Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt. In einer solchen Lage darf sich der Arzt nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden. Vielmehr muss er die Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risiken sowie über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden aufklären und sich ihrer Einwilligung für die Art der Entbindung versichern.

Besteht aber die ernsthafte Möglichkeit, dass die Schnittentbindung im weiteren Verlauf als relativ indiziert anzusehen sein wird, und klärt der Arzt die Schwangere in Hinblick darauf über die verschiedenen Entbindungsmethoden und die mit ihnen verbundenen Risiken auf, so muss er sie grundsätzlich nicht nochmals über die Möglichkeit der Schnittentbindung unterrichten, wenn die ernsthaft für möglich gehaltene Entwicklung eingetreten und die Sectio zur gleichwertigen Behandlungsalternative geworden ist. Diesen Grundsatz hatte das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt. Auf der Grundlage seiner Feststellungen war davon auszugehen, dass die ernsthafte Möglichkeit bestand, dass es zu einer sehr frühen Frühgeburt des Klägers kommen und eine Schnittentbindung zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung werden würde.

Linkhinweis:

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