16.06.2015

Kein Urteil vor Ablauf der gesetzten Frist

Ein Urteil darf nach Einräumung einer Schriftsatzfrist gem. § 283 S. 1 ZPO grundsätzlich nicht vor Ablauf der gesetzten Frist gefällt werden. Scheidet ein an der mündlichen Verhandlung beteiligter Richter (hier: beim OLG) vor Fristablauf aus, muss die mündliche Verhandlung wieder eröffnet werden.

BGH 21.4.2015, II ZR 255/13
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war von der beklagten GmbH im November 2008 als Geschäftsführerin abberufen worden. Die Beklagte erklärte in der Folgezeit wiederholt die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags und im November 2009 die Anfechtung des Vertrags wegen einer von der Klägerin schon bei ihrer Einstellung 1986 begangenen arglistigen Täuschung über ihre Qualifikation, die erst im Oktober 2009 entdeckt worden war.

Die Klägerin hielt die fristlosen Kündigungen und die Arglistanfechtung für unwirksam. Sie beanspruchte vielmehr Zahlung des Geschäftsführergehalts sowie Zahlung des Weihnachtsgeldes für 2008. Hilfsweise machte sie eine im Anstellungsvertrag vorgesehene Karenzentschädigung geltend. Die Beklagte verlangte widerklagend die Rückzahlung eines im Zusammenhang mit der Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin fristlos gekündigten Darlehens und im Wege der Stufenklage die Herausgabe der in ihrem Eigentum stehenden Dokumente, die sich noch im Besitz der Klägerin befinden.

Das LG sprach der Klägerin das Weihnachtsgeld zu und wies die Klage im Übrigen ab. Die Klägerin verurteilte es zur Rückzahlung des Darlehens und in der ersten Stufe zur Auskunftserteilung. Auf die Berufungen beider Parteien sprach das OLG der Klägerin nur noch einen anteiligen Betrag des Weihnachtsgeldes zu und verurteilte die Klägerin dazu, die Richtigkeit und Vollständigkeit der inzwischen erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern. Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass die Anfechtung des Vertrages wegen eines von der Klägerin begangenen Einstellungsbetrugs wirksam war, wobei die Nichtigkeitsfolge rückwirkend den Zeitraum umfasse, in dem kein Leistungsaustausch mehr stattgefunden habe.

Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Das Berufungsgericht war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt, § 547 Nr. 1 ZPO. Das Berufungsurteil wurde erst nach dem Ausscheiden eins Richters, der zum stellvertretenden Direktor eines AG ernannt worden war, gefällt.

Nach Einräumung einer Schriftsatzfrist gem. § 283 S. 1 ZPO darf das Urteil nicht vor Ablauf der gesetzten Frist gefällt werden. Scheidet ein an der mündlichen Verhandlung beteiligter Richter vor Fristablauf aus, muss die mündliche Verhandlung wieder eröffnet werden. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über die Wiedereröffnung einer mündlichen Verhandlung in analoger Anwendung von § 320 Abs. 4 S. 2 u. 3 ZPO von den im Spruchkörper verbliebenen Richtern zu treffen ist, wenn nach dem Ausscheiden eines an Schlussverhandlung und Urteilsfällung beteiligten Richters vor der Verkündung des Urteils noch ein nicht nachgelassener Schriftsatz eingeht.

Abschließend und damit als Urteilsfällung zu werten ist die Beratung und Abstimmung dann, wenn sie aufgrund der prozessualen Situation und mangels eines zu diesem Zeitpunkt absehbaren weiteren Beratungsbedarfs von den beteiligten Richtern als endgültige Entscheidungsfindung verstanden werden kann und verstanden wird. Diese Voraussetzungen sind hingegen nicht erfüllt, wenn die Urteilsfällung nach dem Stand des Verfahrens offensichtlich verfrüht wäre, weil jedenfalls eine der Parteien noch Vortrag halten kann, der nach der Prozessordnung zu berücksichtigen und möglicherweise geeignet ist, das Urteil inhaltlich zu beeinflussen.

Eine in diesem Verfahrensstadium durchgeführte Beratung ist eine bloße stets mögliche und zulässige Zwischenberatung. Eine Zwischenberatung kann nicht im Nachhinein in eine abschließende Beratung (Urteilsfällung) umgedeutet werden. Danach könnte im vorliegenden Fall die Beratung nach der Beendigung des Verhandlungstermins, an der der hier umstrittene Richter noch mitgewirkt hatte, allenfalls dann als abschließende Beratung gewertet werden, wenn die beteiligten Richter unter Verletzung elementarer Verfahrensregeln zugleich beschlossen hätten, den Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes nicht mehr berücksichtigen zu wollen. Davon konnte aber nicht ausgegangen werden.

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