17.06.2016

Keine Beschränkung der Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB

Die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten wird nicht in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB beschränkt. Die Vorschrift dient nicht dem Schutz des Vertragserben beim Erbvertrag oder des letztversterbenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament.

BGH 25.5.2016, IV ZR 205/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin und die Beklagte sind leibliche Töchter des Ehepaares M. Die Eltern hatten im April 1977 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament verfasst, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten die Klägerin zur Erbin des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten die Beklagte und entzogen ihr den Pflichtteil. Der Vater verfasste außerdem im Jahr 1985 ein Einzeltestament, in dem er seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Nach seinem Tod im Jahr 1995 lag dem Nachlassgericht nur dieses von der Mutter abgelieferte Einzeltestament vor.

Die Mutter verstarb 2012. Das Nachlassgericht erteilte einen Erbschein, der die Parteien je zur Hälfte als ihre Erben aus-wies. Nachdem die Klägerin im Juli 2013 das gemeinschaftliche Testament im Tresor des Elternhauses gefunden hatte, lieferte sie es beim Nachlassgericht ab und beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin der Mutter. Die Beklagte erklärte daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des Testamentes wegen eines Motivirrtums ihrer Eltern. Diese seien damals wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem erfolgreich auf Unterhaltsleistung verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sich ihre Eltern jedoch wieder mit ihr versöhnt.

LG und OLG gaben der Feststellungsklage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wie die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Zu Unrecht hatte das Berufungsgericht angenommen, auf einen Motivirrtum des Vaters komme es nicht an, weil auch die Anfechtung der Verfügung des Vaters zur Schlusserbeneinsetzung durch die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB ausgeschlossen sei.

Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Drittanfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament kam nämlich nicht in Betracht. Es fehlte an der vergleichbaren Interessenlage, die für eine Analogie neben einer planwidrigen Regelungslücke erforderlich ist. Die h.M. in der Literatur geht davon aus, dass § 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch Dritte vor oder nach dem Tod des Überlebenden nicht entsprechend angewendet werden kann, weil dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Diese Ansicht ist zutreffend.

Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Widerrufsrechts des erstversterbenden Ehegatten und des beim Erbvertrag bestehenden Anfechtungsrechts ist weder § 2285 BGB zur entsprechenden Anwendung auf die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden Ehegatten geeignet noch ist diese Analogie angesichts der dort bestehenden Interessenlage erforderlich. § 2285 BGB ergänzt das Selbstanfechtungsrecht, das dem Erblasser beim Erbvertrag gem. § 2281 BGB und in entsprechender Anwendung auch dem überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament hinsichtlich seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Dieser besondere Schutz des Willens des Erblassers durch die Beschränkung der Drittanfechtung nach § 2285 BGB folgt aus der Bindung des Vertragserblassers an seine eigene Verfügung, der er bereits zu Lebzeiten unterliegt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine entsprechende Anwendung von § 2285 BGB auf die Verfügung des erstversterbenden Ehegatten nicht mit den Interessen des letztversterbenden Ehegatten, der auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut hat, begründet werden. § 2285 BGB dient nicht dem Schutz des Vertragserben beim Erbvertrag oder des letztversterbenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament. Der Gesetzgeber begründete dies damit, dass anderen Personen ein Anfechtungsrecht nicht in größerem Umfang zugestanden werden könne als dem Erblasser selbst. Geschützt wird daher das Interesse des Erblassers daran, dass sich sein - frei von Irrtum oder Drohung i.S.v. § 2078 BGB gebildeter - Wille durchsetzt. Wenn aber durch die erfolgreiche Anfechtung seiner Verfügung die dazu wechselbezügliche Verfügung des anderen Ehegatten gem. § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam wird, so entspricht dies gerade dem die Wechselbezüglichkeit begründenden Willen der Ehegatten, dass ihre Verfügungen miteinander stehen oder fallen sollen.

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