22.06.2012

Keine Strafbarkeit von Kassenärzten wegen Bestechlichkeit

Ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt handelt bei der Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V; hier: Verordnung von Arzneimitteln) weder als Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen i.S.d. § 299 StGB. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar.

BGH 29.3.2012, GSSt 2/11
Der Sachverhalt:
In dem beim 5. Strafsenat anhängigen Verfahren verurteilte das LG die Angeklagte, eine für die R-GmbH (R) tätige Pharmareferentin, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr in 16 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe. Diese Verurteilung wurde von der Angeklagten mit der Revision umfassend angefochten.

Nach den vom LG getroffenen Feststellungen praktizierte R seit spätestens 1997 unter der Bezeichnung "Verordnungsmanagement" ein Prämiensystem für die ärztliche Verordnung von Medikamenten aus ihrem Vertrieb. Danach sollte der verschreibende Arzt 5 Prozent der Herstellerabgabepreise als Prämie dafür erhalten, dass er Arzneimittel des Unternehmens verordnete. Die Zahlungen wurden als Honorar für fiktive wissenschaftliche Vorträge ausgewiesen. Auf der Grundlage dieses Prämiensystems übergab die Angeklagte in insgesamt 16 Fällen verschiedenen Vertragsärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 €.

Der 5. Strafsenat legte dem Großen Senat für Strafsachen die Frage vor, ob ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt Amtsträger i.S.d. Straftaten im Amt (§§ 331 ff. StGB) ist, wenn er im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung von Kassenpatienten tätig wird und diesen Medikamente verordnet. Hilfsweise für den Fall der Verneinung dieser Frage hat der Senat angefragt, ob ein solcher Arzt in diesen Fällen Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs im geschäftlichen Verkehr i.S.d. § 299 StGB ist. Die Frage der Amtsträgereigenschaft des Vertragsarztes stelle sich in einer Vielzahl von Fällen. Höchstrichterliche Entscheidungen dazu gebe es bisher nicht.

Die Gründe:
Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB strafbar. Auch eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB scheidet aus. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar. Der niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Arzt handelt nämlich bei der Wahrnehmung der ihm gem. § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben, insbes. bei der Verordnung von Arzneimitteln, weder als Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen i.S.d. § 299 StGB.

Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung i.S.d. Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten wird wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist.

Innerhalb des Behandlungsverhältnisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertragsärztlichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Dies entspricht auch der zivilrechtlichen Betrachtungsweise.

Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauftragteneigenschaft i.S.v. § 299 Abs. 1 StGB. Gem. § 72 Abs. 1 S. 1 SGB V wirken die Leistungserbringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet.

Hintergrund:
Der Große Senat für Strafsachen hatte vorliegend nur zu entscheiden, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Das war zu verneinen. Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers.

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BGH PM Nr. 97 vom 21.6.2012
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