19.07.2012

"Kettenbefristungen" können trotz Vorliegens eines Sachgrundes rechtsmissbräuchlich sein

Befristungen von Arbeitsverträgen können trotz Vorliegens eines Sachgrundes aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines solchen Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen.

BAG 18.7.2012, 7 AZR 783/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war bei dem beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 als Justizangestellte im Geschäftsstellenbereich des AG Köln beschäftigt. Die befristete Beschäftigung diente jeweils der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Es spricht vieles dafür, dass bei Abschluss des letzten mit der Klägerin im Dezember 2006 geschlossenen, bis Dezember 2007 befristeten Vertrags beim AG ein ständiger Vertretungsbedarf an Justizangestellten vorhanden war.

Die Klägerin wehrte sich gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses und machte mit ihrer Klage den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses geltend. ArbG und LAG wiesen die Klage ab. Das BAG hat den EuGH um Vorabentscheidung gebeten, ob es mit der Rahmenvereinbarung vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der auch durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.

Der EuGH entschied, dass, wenn ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, dies weder der Annahme eines sachlichen Grundes i.S.d. Rahmenvereinbarung entgegenstehe, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs i.S.d. Bestimmung (EuGH v. 26.1.2012, C-586/10 - "Kücük". Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Daraufhin hob der BAG das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

Die Gründe:
Dem beklagten Land muss noch Gelegenheit gegeben werden, besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.

Das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs steht zwar nicht der Annahme des Sachgrunds der Vertretung entgegen, sondern es kann an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspricht den sich aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Auch im vorliegenden Fall lag für die Befristung zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprachen aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hatte.

Hintergrund:
In einem anderen Fall (Az.: 7 AZR 783/10) wies das BAG - wie schon die Vorinstanzen - die Befristungskontrollklage einer Arbeitnehmerin ab. Diese war vom 1.3.2002 bis zum 30.11.2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung war nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gab es nach Ansicht der Richter allerdings keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.
BAG PM Nr. 54 vom 19.7.2012
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