27.07.2015

Kündigungsrecht des Nacherben hinsichtlich eines vom Vorerben abgeschlossenen Wohnraummietverhältnisses setzt berechtigtes Interesse voraus

Das Recht des Nacherben, ein vom Vorerben über ein zum Nachlass gehörendes Grundstück abgeschlossenes und bei Eintritt der Nacherbfolge noch bestehendes Wohnraummietverhältnis außerordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB zu kündigen, setzt ein berechtigtes Interesse des Nacherben an der Beendigung des Mietverhältnisses voraus (§ 573d Abs. 1, § 573 Abs. 1 S. 1 BGB).

BGH 1.7.2015, VIII ZR 278/13
Der Sachverhalt:
Die Kläger verlangen als Nacherben von der Beklagten die Räumung eines vom Vorerben an die Beklagte vermieteten Einfamilienhauses sowie die Zahlung von Miete. G war Eigentümerin eines Hausgrundstücks mit Einfamilienhaus. Mit notariellem gemeinschaftlichem Testament von April 1975 setzte sie ihren Ehemann zum Vorerben und ihre Nichte und ihren Neffen (die Kläger) als Nacherben ein. Nach dem Tod von G vermietete der Vorerbe das Einfamilienhaus 2009 an die Beklagte. Laut Vertrag ist die mtl. Miete von 675 € auf das im Vertrag angegebene Konto des Vorerben zu zahlen. Die Beklagte verpflichtete sich im Mietvertrag ferner zur Vornahme verschiedener, im Einzelnen bezeichneter Investitionen, denen die Parteien einen Wert von 70.000 € zugrunde legten. Das Recht des Vermieters zur ordentlichen Kündigung ist bis zum 29.2.2024 ausgeschlossen.

Zudem enthält der Mietvertrag einen Verzicht des Vermieters auf das Recht zur Erhöhung der Miete bis zum 15.2.2024. Aufgrund der vorzunehmenden Investitionen ist die mtl. Miete für die Dauer des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auf 225 € verringert und der Mieterin für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung das Recht zugestanden, pro Monat "des noch zu erfüllenden Vertrages" eine mtl. Abgeltung i.H.v. 450 € zu verlangen. Der Vorerbe verstarb 2011 und wurde von seinem Sohn beerbt. Die Kläger teilten der Beklagten am 25.1.2012 unter Vorlage des gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahr 1975 mit, dass der Nacherbfall eingetreten sei, und baten sie am 17.2.2012, die Miete künftig auf das Konto der Kläger zu überweisen. Die Beklagte forderte die Kläger mit Schreiben vom 23.2.2012 und 7.3.2012 auf, ihr die Rechtsnachfolge nachzuweisen, und kündigte an, die Miete sodann auf das von den Klägern mitgeteilte Konto zahlen zu wollen. Am 23.3.2012 sandte der spätere Prozessbevollmächtigte der Kläger an die Beklagte per Fax ein auf die Kläger als Rechtsnachfolger des Vorerben umgeschriebenes Versäumnisurteil, welches der Vorerbe in einem Verfahren vor dem AG Bensheim (6 C 605/09) gegen die Beklagte erwirkt hatte. Die Beklagte zahlte die Miete weiterhin auf das im Mietvertrag angegebene Konto.

Mit Schreiben vom 3.5.2012 erklärten die Kläger die fristlose Kündigung des Mietvertrags wegen Verzugs mit den Mietzahlungen für die Monate März und April 2012. In der Berufungsinstanz erklärten die Kläger mit Schreiben vom 27.3.2013 erneut die fristlose und hilfsweise die ordentliche Kündigung und begründeten diese mit Zahlungsverzug wegen der Monate Mai und Juni 2012 sowie unpünktlichen Mietzahlungen. Den von ihnen geltend gemachten Räumungsanspruch stützten sie mit Schriftsatz vom 2.4.2013 - der Beklagten am 8.4.2013 zugestellt - auch auf diese Kündigung. Die Beklagte zahlte die ausstehenden Mieten während des Berufungsverfahrens an die Kläger, nämlich für April und Mai 2012 am 4.4.2013 und für Juni 2012 am 29.5.2013.

Das AG wies die Klage, mit der die Kläger ursprünglich u.a. die Räumung des Hauses sowie die Zahlung der Miete für die Monate Januar bis Mai 2012 verlangt haben, ab. Das LG stellte bzgl. der Zahlung der Miete für die Monate April und Mai 2012 die Erledigung der Hauptsache fest und wies die Klage im Übrigen ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 27.3.2013 und somit die Begründetheit eines hierauf gestützten Räumungsanspruchs der Kläger nicht verneint werden.

Die Revision wendet sich zu Recht gegen die Annahme des LG, die ordentliche Kündigung sei mangels Hinweises auf das Kündigungsrecht aus §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB nicht ausreichend begründet und deshalb unwirksam, so dass den Klägern ein Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB nicht zustehe. Gem. § 573d Abs. 1 BGB sind §§ 573, 573a BGB entsprechend anwendbar, wenn ein Mietverhältnis - wie hier bei der Kündigung nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB - außerordentlich mit gesetzlicher Frist gekündigt werden kann. Dies bedeutet, dass ein Mietverhältnis über Wohnraum auch in diesem Fall nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses gekündigt werden kann. Gem. Der Vermieter hat dabei die Gründe für ein berechtigtes Interesse an der Kündigung im Kündigungsschreiben anzugeben. Diesem Erfordernis sind die Kläger indes nachgekommen, denn sie haben die mit Schreiben vom 27.3.2013 (hilfsweise) erklärte ordentliche Kündigung mit dem eingetretenen Zahlungsverzug und unpünktlichen Mietzahlungen begründet.

Dass der mit dem Vorerben abgeschlossene Mietvertrag einen Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis Ende Februar 2024 vorsieht, steht einer Kündigung der Kläger als Nacherben gem. §§ 2135, 1056 Abs. 2, § 573d Abs. 1, 2 BGB gleichfalls nicht entgegen. Denn diese gesetzliche Regelung räumt dem Nacherben grundsätzlich die Möglichkeit ein, das Wohnraummietverhältnis bei Bestehen eines berechtigten Interesses außerordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen. Für den vergleichbaren Fall des Eigentümers, auf den das Mietverhältnis nach Beendigung des Nießbrauchs gem. § 1056 Abs. 1 BGB übergeht, hat der Senat dies bereits entschieden. Für den in das Mietverhältnis nach §§ 2135, 1056 Abs. 1 BGB eintretenden Nacherben gilt nichts anderes. Allerdings ist dem in das Mietverhältnis gem. § 1056 Abs. 1 BGB eintretenden Eigentümer nach der Rechtsprechung des BGH nach Treu und Glauben eine Kündigung nach § 1056 Abs. 2 BGB verwehrt, wenn er unabhängig von § 1056 Abs. 1 BGB persönlich an den Mietvertrag gebunden ist, etwa wenn er ihn vor der Bewilligung des Nießbrauchs noch als Eigentümer selbst abgeschlossen hatte, wenn er dem Mietvertrag beigetreten war oder Alleinerbe des Vermieters geworden ist.

Diese Grundsätze sind auf den hier vorliegenden Fall des Eintritts eines Nacherben in das Mietverhältnis nach §§ 2135, 1056 Abs. 1 BGB zu übertragen. Eine Kündigung nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB ist dem Nacherben etwa auch dann verwehrt, wenn er dem Abschluss des Mietvertrags durch den Vorerben zugestimmt hat oder der Abschluss eines für den Vermieter unkündbaren Mietvertrags über den Nacherbfall hinaus einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entsprochen hat, so dass der Nacherbe gegenüber dem Vorerben verpflichtet gewesen wäre, dem Mietvertrag zuzustimmen. Hierzu hat das LG - vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Den Parteien wird insoweit Gelegenheit zu neuem Sachvortrag zu geben sein.

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