28.06.2012

Männliche Versicherungsnehmer müssen nach Geschlechtsumwandlung nicht zwangsläufig in den Frauentarif wechseln

Die Geschlechtsumwandlung eines ursprünglich männlichen Versicherungsnehmers berechtigt den privaten Krankenversicherer nicht, die versicherte Person abweichend vom vertraglich vereinbarten Männertarif in den Frauentarif einzustufen. Eine solche Anspruchsgrundlage der Versicherung findet sich weder in den Vorschriften des TSG noch kann aus einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB hergeleitet werden.

BGH 9.5.2012, IV ZR 1/11
Der Sachverhalt:
Die transsexuelle Klägerin, wurde zwar als Mann geboren, ließ sich aber im Jahr 2005 zu einer Frau umoperieren und änderte gem. § 1 TSG den Vornamen in einen weiblichen. Einen Antrag nach § 8 TSG auf Feststellung der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht hat sie aus Rücksicht zu ihrer Ehefrau nicht gestellt, obwohl unstreitig alle Voraussetzungen dafür vorliegen.

Die beklagte Versicherung, die die durchgeführten Operationen bezahlt hatte, stufte die Klägerin Januar 2009 in den Frauentarif ein. Sie meinte, die Klägerin müsse sich als Frau behandeln lassen. Der Klägerin war hingegen der Ansicht, dass solange kein Gerichtsbeschluss nach § 10 TSG vorliege, mit dem festgestellt wird, dass sie als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, habe die Beklagte keinen Anspruch auf die für Frauen geltenden Beiträge. Ob sie, die Klägerin, einen solchen Antrag stelle, sei ihre höchstpersönliche Entscheidung.

Das AG gab der Feststellungsklage statt; das LG wies sie ab. Das Berufungsgericht war der Ansicht, die Klägerin könne sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, einen Antrag gem. § 8 TSG nicht gestellt zu haben. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung der Beklagten zurück.

Die Gründe:
Es war keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, die - abweichend von dem vertraglich vereinbarten Tarif - eine Einstufung der Klägerin in den Frauentarif rechtfertigen konnte.

Eine solche Anspruchsgrundlage findet sich insbesondere nicht in den Vorschriften des TSG. Selbst nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung gem. § 10 TSG verpflichteten weder dieses Gesetz noch der Versicherungsvertrag in der bestehenden Fassung die Klägerin zur Zahlung einer höheren Prämie als im Vertrag vereinbart.

Schließlich lag auch weder ein Fall einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG vor noch ergab sich ein Anspruch der Beklagten auf Vertragsänderung aus einer Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB. Zwar sind die Folgen nachträglicher Risikoerhöhungen nach Abschluss des Versicherungsvertrages vom Gesetzgeber in den Vorschriften über die Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) geregelt. Insoweit lässt sich auch aus § 25 VVG der Grundsatz entnehmen, dass der Versicherer ein nachträglich erhöhtes Risiko nur gegen Zahlung einer erhöhten Prämie abdecken muss. Allerdings konnte dieser Grundsatz hier nicht zum Zuge kommen, weil der Gesetzgeber ihn für die Krankenversicherung gerade ausgeschlossen hat.

Die Ausnahmevorschrift des § 194 Abs. 1 S. 2 VVG bestimmt, dass die §§ 23 bis 27 und 29 auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden sind. Damit hat der Gesetzgeber dem Versicherer das Risiko nachträglicher Gefahrerhöhungen in der Krankenversicherung generell auferlegt.

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