02.01.2012

Neuregelung strafprozessualer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen ist verfassungsgemäß

Die Neuregelung bzw. Änderung einzelner StPO-Vorschriften durch Art. 1 und 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.12.2007 steht mit dem GG im Einklang. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, den Anwendungsbereich des in § 160a Abs. 1 StPO normierten absoluten Beweiserhebungs- und Verwendungsverbots - für Geistliche, Strafverteidiger, Abgeordnete und seit dem 1.2.2011 für Rechtsanwälte - auch auf die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Personengruppen zu erstrecken.

BVerfG 12.10.2011, 2 BvR 236/08 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Neuregelung des § 160a StPO erfasst Ermittlungsmaßnahmen, in die Berufsgeheimnisträger als nicht einer Straftat Verdächtige einbezogen werden, und differenziert zwischen bestimmten Berufsgruppen. In Abs. 1 wird ein umfassender Schutz der Vertraulichkeit der berufs- und funktionsbezogenen Kommunikation mit Geistlichen, Strafverteidigern, Abgeordneten und seit dem 1.2.2011 auch mit Rechtsanwälten gewährleistet.

Hinsichtlich aller Informationen, über die diesen Berufsgeheimnisträgern nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zustünde, gilt ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot. Für alle anderen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Berufsgeheimnisträger, wie etwa Ärzte, Steuerberater oder Pressevertreter, sieht Abs. 2 dagegen vor, dass die Ermittlungsbehörden im Einzelfall nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen das Bestehen eines Beweiserhebungs- und -verwertungsverbots zu prüfen haben.

Einige der Beschwerdeführer in den miteinander verbundenen Verfahren, die als Ärzte bzw. publizistisch tätig sind, hielten die Differenzierung zwischen den Berufsgruppen in § 160a Abs. 1 u. 2 StPO für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. Ferner sahen sie sich dadurch, dass sie von der in Abs. 1 privilegierten Gruppe der Berufsgeheimnisträger ausgeschlossen werden, in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit verletzt.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde allerdings zurückgewiesen.

Die Gründe:
Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot noch verletzen die angegriffenen strafprozessualen Vorschriften die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten.

Dies gilt auch für die Regelung über den Schutz der Zeugnisverweigerungsberechtigten in § 160a Abs. 1 u. Abs. 2 StPO. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, den Anwendungsbereich des in § 160a Abs. 1 StPO normierten absoluten Beweiserhebungs- und Verwendungsverbots - für Geistliche, Strafverteidiger, Abgeordnete und seit dem 1.2.2011 für Rechtsanwälte - auch auf die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Personengruppen zu erstrecken.

Mit der Differenzierung zwischen bestimmten Gruppen von Berufsgeheimnisträgern trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass das GG dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung zuerkennt, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt und damit auch strafprozessualen Ermittlungen von vornherein entzogen ist. Für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger sowie für Strafverteidiger ergibt sich die Rechtfertigung für den absoluten Schutz daraus, dass ihre Kommunikation mit dem Beschuldigten eines Strafverfahrens typischerweise einen Bezug zu Art. 1 Abs. 1 GG aufweist. Auch die gesetzgeberische Entscheidung, den absoluten Schutz des § 160a Abs. 1 StPO auf Rechtsanwälte, auf nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen sowie auf Kammerrechtsbeistände auszudehnen, ist vor Art. 3 Abs. 1 GG noch zu rechtfertigen.

Allein die Stellung der Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege und ihre Teilnahme an der Verwirklichung des Rechtsstaats heben sie zwar noch nicht in einer Weise aus dem Kreis der lediglich von dem relativen Schutz des § 160a Abs. 2 StPO erfassten Berufsgeheimnisträger heraus. Allerdings kann eine hinreichende Rechtfertigung in dem Umstand gesehen werden, dass eine Differenzierung zwischen Anwälten und Verteidigern aufgrund der Nähe der Tätigkeitsfelder faktisch kaum möglich ist.

Einem anwaltlichen Beratungsverhältnis ist anders als dies etwa bei Steuerberatern der Fall ist bei generalisierender Betrachtung die Option der Strafverteidigung immanent. Daher ist es mit Blick auf den Menschenwürdebezug der Strafverteidigung vertretbar, auch die nunmehr neu von § 160a Abs. 1 StPO erfasste Berufsgruppe der Rechtsanwälte an dem dort normierten absoluten Schutz teilhaben zu lassen. Von diesen privilegierten Berufsgruppen unterscheiden sich die von § 160a Abs. 2 StPO erfassten anderen Berufsgeheimnisträger in einer Weise, die einen der Abwägung zugänglichen Schutz gegenüber Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigt.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 77 vom 7.12.2011
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