08.09.2015

Notwegerecht: Wann wird ein Grundstück ordnungsgemäß genutzt?

Für die Bestimmung, ob ein Grundstück ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB genutzt wird, kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen ihm die Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlt. Hat der Eigentümer die Ursache gesetzt, kann dies nur im Rahmen von § 918 BGB Bedeutung erlangen.

BGH 24.4.2015, V ZR 138/14
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Eigentümer eines Grundstücks in Hanglage, an dessen einer Seite ein Privatweg verläuft. 1965 hatte er versucht, das damals noch unbebaute Grundstück über den Privatweg an das öffentliche Straßennetz anzubinden. Dies scheiterte, da nicht alle betroffenen Anlieger mit der Einräumung eines Wegerechtes einverstanden waren. Die für die Erteilung der Baugenehmigung erforderliche Sicherung der Anbindung an das öffentliche Straßennetz wurde daher über die andere Seite des Grundstücks durch Verlängerung eines öffentlichen Weges geplant.

Die Eigentümer der Grundstücke, über die die Verlängerung führen sollte, übernahmen entsprechende Baulasten und bestellten entsprechende Grunddienstbarkeiten, die auch in das Grundbuch eingetragen wurden. Eine Verlängerung des Weges erfolgte jedoch auch nach der Bebauung nicht. Vielmehr nutzte der Beklagte den Privatweg, um auf sein Grundstück zu gelangen.

Die Kläger, die Eigentümer eines Teils der Flächen sind, über die der Privatweg verläuft, verlangten von den Beklagten, die Nutzung des Privatweges, hilfsweise die Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke als Zuwegung zu unterlassen. AG und LG gaben dem Hilfsantrag statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Gründe:
Zwar ging das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass die Kläger von den Beklagten nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB die Unterlassung der Nutzung des über ihre Grundstücke verlaufenden Privatwegs verlangen können, wenn eine Duldungspflicht gem. § 1004 Abs. 2 BGB nicht besteht und der Anspruch nicht verwirkt ist. Richtig war auch, dass sich eine Duldungspflicht nicht aus einer von der Voreigentümerin des Privatwegs erteilten Erlaubnis, den Weg zu nutzen, ergeben kann. Denn gestattet ein Grundstückseigentümer seinem Nachbarn eine Nutzung, bindet dies seinen Einzelrechtsnachfolger - hier die Kläger - nicht.

Zu Unrecht verneinte das Berufungsgericht jedoch einen Anspruch der Beklagten auf Einräumung eines Notwegerechts und eine daraus folgende Pflicht der Kläger, die Nutzung des Privatwegs gem. § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Denn seine Annahme, dem - nur über einen Fußweg erreichbaren - Grundstück des Beklagten fehle nicht die zur ordnungsmäßigen Nutzung notwendige Verbindung zu einem öffentlichen Weg i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB, war auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht haltbar. Ein Notwegrecht kommt nach § 917 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, wenn einem Grundstück die zu seiner ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Handelt es sich um ein Wohn-grundstück, setzt eine ordnungsmäßige Grundstücksbenutzung in der Regel die Erreichbarkeit des Grundstücks mit einem Kraftfahrzeug voraus. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass mit einem Pkw unmittelbar an das Grundstück herangefahren und der Eingangsbereich von dieser Stelle aus in zumutbarer Weise - auch mit sperrigen Gegenständen - erreicht werden kann. Hieran fehlte es allerdings vorliegend, da das Grundstück des Beklagten - außer über den Privatweg der Kläger - nicht mit einem Pkw angefahren werden kann.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes sind die an eine ordnungsmäßige Nutzung zu stellenden Anforderungen hinsichtlich des Grundstücks des Beklagten nicht deshalb herabzusetzen, weil bei Erteilung der Baugenehmigung eine Erschließung über die Verlängerung des öffentlichen Weges vorgesehen war. Da eine bestandskräftige Baugenehmigung für das Wohnhaus des Beklagten vorliegt, ist die Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken eine ordnungsmäßige Nutzung i.S.v. § 917 Abs. 1 S. 1 BGB. Ob die Genehmigung wegen fehlender technischer Realisierbarkeit der vorgesehenen Zuwegung nicht hätte erteilt werden dürfen, ist unerheblich. Denn eine bestandskräftige Baugenehmigung wirkt dergestalt auf das Zivilrecht ein, dass sie die Ordnungsmäßigkeit der Nutzung eines Grundstücks bestimmt. Aus welchen Gründen dem Grundstück die Verbindung zu einem öffentlichen Weg fehlt, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Das LG wird u.a. zu klären haben, ob die Errichtung einer Zufahrt zu dem Wohngrundstück des Beklagten durch Verlängerung des öffentlichen Weges technisch durchführbar ist.

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