09.10.2017

Öffentlichkeit eines Weges durch unvordenkliche Verjährung?

Nach dem Grundsatz der unvordenklichen Verjährung ist ein über ein Privatgrundstück verlaufender Weg wie ein - vom privaten Eigentümer nicht zu sperrender - öffentlicher Weg zu behandeln, wenn der Weg seit vielen Jahren, "Menschengedenken", nach allgemeiner Meinung zu Recht als öffentlicher Weg genutzt wurden und der - nicht wegebau- oder unterhaltspflichtige - Eigentümer diesen Zustand stillschweigend geduldet hat.

OLG Hamm 19.6.2017, 5 U 20/16
Der Sachverhalt:
Kläger und Beklagte sind benachbarte Grundstückseigentümer aus Münster. Sie stritten darüber, ob ein über die Grundstücke der beklagten Eigentümer verlaufender Weg, der früher eine Verbindung von der (jetzigen) "Gievenbecker Reihe" zur (jetzigen) "Potstiege" darstellte, von den Klägern wie ein öffentlicher Weg genutzt werden darf. Auch ohne diesen Weg ist das Grundstück der Kläger, von ihnen im Jahr 2011 erworben, an das öffentliche Straßen- und Wegenetz angeschlossen. Die Lage des umstrittenen Weges war in den 1970er Jahren verändert worden, als eine frühere durch eine anders verlaufende Wegstrecke ersetzt wurde. Derzeit versperren auf dem Grundstück der Beklagten aufgestellte Zäune den Zugang zu dem Ersatzweg, der heute auch deswegen keine durchgehende Verbindung mehr darstellt, weil eine hinter dem Grundstück der Beklagten liegende Brücke, die den Weg über einen Bach führte, bereits vor Jahren abgerissen wurde.

Die Kläger waren der Ansicht, sie dürften - in Anwendung des Grundsatzes der unvordenklichen Verjährung - den über das Grundstück der Beklagten verlaufenden Ersatzweg als öffentlichen Weg nutzen und verwiesen darauf, dass es an der fraglichen Stelle seit je her einen öffentlichen Weg gegeben habe. Der Weg sei mit einer früheren Hofanlage entstanden und als Verbindungsweg schon auf einem königlich-preußischen Stadtplan der Provinzhauptstadt Münster von 1839 eingetragen gewesen. Seit Menschengedenken sei der Weg von jedermann als öffentlicher Weg genutzt worden, seine Entstehung und die ursprünglichen rechtlichen Verhältnisse lägen im Dunkeln. Nach Änderung des Wegeverlaufs müsse nunmehr der Ersatzweg als öffentlicher Weg zu nutzen sein.

Die Kläger begehrten mit der vorliegenden Klage von den Beklagten, den Anschluss an deren Abwasserleitungen zu dulden und ein Leitungsrecht in ihren Grundbüchern einzutragen. Ferner verlangen sie von den Beklagten, die Nutzung eines über deren Grundstücke führenden Ersatzweges zu dulden. Das LG wies die Klage ab. Auch die Berufung der Kläger vor dem OLG blieb erfolglos. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren ist beim BGH unter dem Az. V ZR 208/17 anhängig.

Die Gründe:
Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Duldung ihres Anschlusses an die Schmutzwasserleitung der Beklagten.

Die Kläger haben nicht hinreichend vortragen, dass der Teil der Grundstücke der Beklagten, auf dem sich der Ersatzweg befindet bzw. der behauptete historische Weg befunden hatte und der nicht als öffentliche Straße gewidmet gewesen war, nach dem Grundsatz der unvordenklichen Verjährung als öffentlicher Weg zu gelten hat. Nach dem Grundsatz der unvordenklichen Verjährung kann die Öffentlichkeit eines alten Weges dann angenommen werden, wenn der Weg seit Menschengedenken unter stillschweigender Duldung des nicht wegebau- oder unterhaltungspflichtigen Privateigentümers und nach allgemeiner Überzeugung zu Recht als öffentlicher Weg genutzt wurde. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass der beanspruchte Zustand in einem Zeitraum von 40 Jahren bestanden hat und als rechtens angesehen wurde. Zudem darf es weitere 40 Jahre vorher keine Erinnerung an einen anderen Zustand seit Menschengedenken gegeben haben.

An den Nachweis der unvordenklichen Verjährung sind mit Rücksicht auf die Rechte des privaten Eigentümers, über dessen Grund ein öffentlicher Weg verläuft, strenge Anforderungen zu stellen. So kann eine unvordenkliche Verjährung bei einem im Privateigentum stehenden alten Weg nicht schon allein deswegen angenommen werden, weil der Weg seit langer Zeit auch für den allgemeinen Verkehr genutzt wird. Schließlich ist es gerade in ländlichen Räumen durchaus üblich gewesen und auch noch üblich, die Benutzung im Privateigentum stehender Wege auch durch fremde Personen zu dulden, ohne dass aus einem solchen Verhalten des Grundeigentümers der Schluss gezogen werden kann, er will sich seiner privaten Verfügungsmacht über den Weg begeben.

Infolgedessen ist der Ersatzweg im vorliegenden Fall nicht nach den Grundsätzen der unvordenklichen Verjährung als öffentlicher Weg anzusehen. Er erfüllt nämlich die genannten Voraussetzungen nicht, weil er erst nach 1968 entstanden und in seinem Verlauf nicht mit dem früheren Weg identisch ist. Dass der beschriebene ursprüngliche Wegeverlauf nach den Grundsätzen der unvordenklichen Verjährung ein öffentlicher Weg gewesen ist, konnte ebenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Allein die Wiedergabe des Weges in alten Plänen oder Zeichnungen stellt kein Indiz für seine Öffentlichkeit dar. Gegen seine Öffentlichkeit sprach vorliegend vielmehr, dass der ursprüngliche Weg mitten über die frühere, im Privatbesitz befindliche Hofanlage geführt haben soll. Dafür, dass frühere Eigentümer insoweit einen ihrer privaten Verfügungsbefugnis entzogenen, öffentlichen Weg haben dulden wollen, gab es keine Anhaltspunkte.

Linkhinweis:

OLG Hamm Pressemitteilung vom 9.10.2017