29.08.2019

Pauschale Ermittlung von Investmentfondserträgen nach § 6 Abs. 1 InvStG

Die pauschale Ermittlung von Investmentfondserträgen nach § 6 Abs. 1 InvStG, die vom Steuerpflichtigen durch den Nachweis der tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nach § 6 Abs. 2 InvStG abgewendet werden kann, verstößt nicht gegen Unionsrecht und ist auch mit dem Grundgesetz vereinbar.

Kurzbesprechung
BFH v. 14.5.2019 - VIII R 31/16

InvStG §§ 5 Abs. 1, 6, 22a Abs. 2

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 InvStG gehören die auf Investmentanteile ausgeschütteten sowie die ausschüttungsgleichen Erträge und der Zwischengewinn zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn sie nicht Betriebseinnahmen des Anlegers, Leistungen nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG oder Leistungen i.S. des § 22 Nr. 5 EStG sind. Diese Regelung gilt für sämtliche Anleger von Investmentfonds und damit auch im Streitfall für die Steuerpflichtigen als Privatanleger. Zwar sind nach dem Einleitungssatz in § 5 Abs. 1 Satz 1 InvStG die §§ 2 und 4 InvStG nur anzuwenden, wenn der Fonds die in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift angeführten Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten erfüllt. Dies kann aber nicht so verstanden werden, als habe sich der Gesetzgeber bei Privatanlegern die erkennbar auch bei intransparenten Fonds gewollte Steuerbarkeit der nach § 6 InvStG ermittelten Kapitalerträge durch ein Redaktionsversehen "selbst aus der Hand geschlagen", wenn der Fonds die Verpflichtungen aus § 5 InvStG nicht erfüllt.

Die gemäß § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 InvStG bekannt zu machenden Besteuerungsgrundlagen wurden von den Investmentfonds, an denen die Steuerpflichtigen beteiligt waren, für die Streitjahre nicht veröffentlicht. Die Steuerpflichtigen hatten jedoch auch keinen anderweitigen Nachweis zu den Besteuerungsgrundlagen gemäß § 5 Abs. 1 InvStG erbracht.

Zwar ist § 6 Abs. 2 InvStG auch zugunsten von Anlegern thesaurierender Investmentfonds anzuwenden. Die Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut voraus, dass die Besteuerungsgrundlagen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InvStG mit Ausnahme der Buchst. c und f erklärt und nachgewiesen werden; sie nimmt damit Bezug auf die für ausschüttende Fonds geltenden Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten. Jedoch erfolgte die Einführung von § 6 Abs. 2 InvStG ausweislich der Gesetzesbegründung vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH (EU:C:2014:2269, HFR 2014, 1127), wonach Anlegern eines intransparenten EU-Investmentfonds ein anderweitiger Nachweis über die tatsächliche Höhe ihrer Einkünfte möglich sein muss. Diese Möglichkeit ist unabhängig davon einzuräumen, ob es sich um einen ausschüttenden oder thesaurierenden Investmentfonds handelt. Für diese Auslegung spricht auch, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InvStG hinsichtlich der Bekanntmachungspflichten bei thesaurierenden Fonds auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InvStG (mit Ausnahme des Buchst. a) verweist. Die bei thesaurierenden Fonds erforderlichen Angaben sind deshalb - auch im Rahmen des § 6 Abs. 2 InvStG - entsprechend den in Ausschüttungsfällen geltenden Vorgaben zu machen und nachzuweisen.

Im Streitfall war das FG zutreffend zu dem Schluss gekommen, es könne anhand der eingereichten Jahresberichte der streitbefangenen Fonds die nach § 6 Abs. 2 Satz 1 InvStG erforderlichen Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln. Denn die Steuerpflichtigen hatten keine Angaben zu den bei thesaurierenden Investmentfonds erforderlichen Besteuerungsgrundlagen, insbesondere zum Betrag der ausschüttungsgleichen Erträge gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. Nr. 2 InvStG gemacht, sondern lediglich das nach den Jahresberichten auf ihre jeweiligen Fondsanteile entfallende Nettoergebnis der Anlagen für die jeweiligen Streitjahre mitgeteilt. Soweit die Steuerpflichtigen geltend machen, ihnen seien die erforderlichen Mindestangaben wegen fehlender Informationen durch die Investmentfonds nicht verfügbar gewesen, führte dies im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere verstößt die Verpflichtung, die nach § 6 Abs. 2 Satz 1 InvStG erforderlichen Besteuerungsgrundlagen i.S. des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InvStG zu erklären, nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 63 AEUV. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist es mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar, wenn Anleger ausländischer Investmentfonds verpflichtet sind, diejenigen Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen zu machen, die inländische Investmentfonds machen müssen, um eine ordnungsgemäße Besteuerung nach innerstaatlichem Recht zu gewährleisten.

Im Streitfall hatte das FG die Möglichkeit einer Schätzung der Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen auf der Grundlage der von den Steuerpflichtigen vorgelegten Jahresberichte im Ergebnis zutreffend verneint. Kommt ein Investmentfonds seinen Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten aus § 5 InvStG nicht nach und kann auch der Anleger keine Angaben zu diesen machen, sind die Besteuerungsgrundlagen nach § 6 Abs. 1 InvStG pauschal zu ermitteln. Eine individuelle Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO schließt § 6 InvStG aus. Vielmehr ordnet die Regelung in Abs. 1 eine pauschale Ermittlung der Erträge an, die, soweit kein abweichender Nachweis nach § 6 Abs. 2 InvStG geführt wird, keinen Raum für eine individuelle Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO lässt.

Die pauschale Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen nach § 6 Abs. 1 InvStG verstößt nach Auffassung des BFH auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die pauschale Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen nach § 6 Abs. 1 InvStG führt zwar zu einer Ungleichbehandlung und kann im Einzelfall einer Besteuerung nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit zuwiderlaufen; sie ist jedoch nach Auffassung des BFH durch hinreichende, die Pauschalierung der Erträge rechtfertigende Gründe verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Auch führt § 6 InvStG nicht zu einer nach Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unzulässigen Übermaßbesteuerung.

BFH, Urteil vom 14.5.2019, VIII R 31/16, veröffentlicht am 29.8.2019.
 
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