19.02.2015

Psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen durch direkte Unfallbeteiligung können Anspruch auf Schmerzensgeld begründen

Bei der Frage, ob psychische Beeinträchtigungen infolge des Unfalltodes naher Angehöriger eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen, kommt dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, ob die Beeinträchtigungen auf die direkte Beteiligung des "Schockgeschädigten" an dem Unfall oder das Miterleben des Unfalls zurückzuführen sind oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst wurden. Die Haftung des Schädigers für psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen ist in den Fällen zweifelsfrei gegeben, in denen der Geschädigte am Unfall direkt beteiligt war und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte.

BGH 27.1.2015, VI ZR 548/12
Der Sachverhalt:
An einem Nachmittag im April 2007 war der W. deutlich angetrunken mit dem bei der Beklagten versicherten Kfz unterwegs. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritt er dabei um mindestens 58 km/h. Nach einer langgezogenen Linkskurve geriet der W. auf die Gegenfahrbahn, wo ihm der Kläger und - hinter diesem - dessen Ehefrau auf Motorrädern mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h entgegenkamen. Der W. verfehlte den Kläger nur knapp und erfasste dessen Ehefrau, die bei der Kollision tödliche Verletzungen davontrug.

Der Hausarzt des Klägers diagnostizierte bei ihm eine akute Belastungsreaktion. Der Kläger gab aufgrund von Angstzuständen seinen Beruf als Lkw-Fahrer auf und zog auf Anraten des Arztes aus der ehelichen Eigentumswohnung aus. Die Beklagte zahlte ihm außergerichtlich ein Schmerzensgeld i.H.v. 4.000 €. Mit der Klage begehrte der Kläger u.a. ein weiteres Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 8.000 €. Er machte geltend, er habe bei dem Unfall einen schweren Schock erlitten, da er miterlebt habe, wie seine Frau bei einem brutalen Verkehrsunfall getötet und er selbst nur um Haaresbreite verfehlt worden sei.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Es liege bereits keine Körperverletzung oder eine Gesundheitsbeschädigung vor. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückgewiesen.

Gründe:
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes aus § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 1, § 11 S. 2 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG konnte auf der Grundlage des für die revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Sachverhalts nicht verneint werden.

Seelische Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz, denen Hinterbliebene beim (Unfall)Tod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, begründen auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Sie können vielmehr nur dann als Gesundheitsverletzung angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Infolgedessen hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Annahme einer Gesundheitsverletzung i.d.S. überspannt.

Dem Kläger war von seinem Arzt zu dem Wohnungswechsel geraten worden, um die Bedingungen der psychischen Verarbeitung des Unfallereignisses zu verbessern. Er musste zudem seinen Beruf aufgeben, weil er unter fortdauernden Angstzuständen, Schweißausbrüchen und Zittern im Straßenverkehr leidet und deshalb nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen. Auch auf das Motorradfahren muss der Kläger verzichten. Diese Beeinträchtigungen gehen deutlich über die gesundheitlichen Auswirkungen hinaus, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom Unfalltod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.

Zudem hat das Berufungsgericht zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass der Senat stets dem Umstand maßgebliche Bedeutung beigemessen hat, ob die von dem "Schockgeschädigten" geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen auf seine direkte Beteiligung an einem Unfall oder das Miterleben eines Unfalls zurückzuführen sind oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst wurden. Die Haftung des Schädigers für psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen ist in den Fällen zweifelsfrei gegeben, in denen der Geschädigte am Unfall direkt beteiligt war und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte. Der Kläger hatte zum einen selbst unmittelbare Lebensgefahr für sich wahrgenommen und zum anderen akustisch und optisch miterlebt, wie seine Ehefrau bei einer sehr hohen Kollisionsgeschwindigkeit als Motoradfahrerin nahezu ungeschützt von einem Auto erfasst und getötet wurde. Ein solches Erlebnis ist hinsichtlich der Intensität der von ihm ausgehenden seelischen Erschütterungen mit dem Erhalt einer Unfallnachricht nicht zu vergleichen.

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