11.01.2013

Rechtsprechungsänderung bei Aufsichtspflichtverletzungen des Kindergartenpersonals

In Fällen, in denen Kinder einer Kindertagesstätte Eigentum Dritter beschädigen, kann sich der Geschädigten, der gegen die Gemeinde als Trägerin der Kindertagesstätte Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG geltend macht, auf die Beweislastregel des § 832 BGB berufen. Somit gibt der III. Senat seine frühere Rechtsprechung auf, wonach er eine Anwendung des Entschuldigungsbeweises bei einem Zusammentreffen mit einem Anspruch aus § 839 BGB abgelehnt hat.

BGH 13.12.2012, III ZR 226/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Handwerker und hatte Juni 2010 seinen Firmenwagen im Eingangsbereich eines Schulgebäudes geparkt, in dem er einen Wasserschaden beseitigte. In dem Schulgebäude befindet sich auch eine Kindertagesstätte, deren 20 x 25 Meter großer Außenbereich mit einem Gittermattenzaun aus Metall eingezäunt ist.

An dem besagten Tag war eine aus acht Kindern bestehende Gruppe der Tagesstätte unter der Leitung einer Erzieherin mit Gartenarbeiten beschäftigt. Drei der Kinder entfernten sich und warfen mehrere Kieselsteine, die als Ziersteine um das Gebäude der Tagesstätte lagen, auf das Fahrzeug des Klägers, das etwa zwei Meter von dem Außenbereich der Tagesstätte entfernt parkte.

Der Kläger war der Ansicht, die beklagte Stadt hafte für die an seinem Fahrzeug durch den Steinwurf entstandenen Lackschäden wegen Verletzung der Aufsichtspflicht seitens der Erzieherinnen der Kindertagesstätte. Soweit die als Zeuginnen vernommenen Erzieherinnen nichts Näheres zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufsichtspflicht bekundet hätten, gehe dies zu Lasten der Beklagten. Die beklagte Stadt war hingegen der Auffassung, eine ständige Überwachung der Kinder "auf Schritt und Tritt" könne nicht verlangt werden.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr i.H.v. rund 1.125 € statt. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Der Kläger konnte gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG geltend machen.

Die Erzieherinnen der Kindertagesstätte waren in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig geworden. Zwar waren die Kleinkinder nicht "auf Schritt und Tritt", aber doch in kurzen Abständen regelmäßig zu kontrollieren. Dies galt auch deshalb, weil es aufgrund der Lage des Außengeländes der Tagesstätte und der konkreten Tätigkeit der Kinder dieser Gruppe (Gartenarbeiten unter Zuhilfenahme von Gartengeräten) nicht ausgeschlossen erschien, dass die Kinder selbst oder Dritte in Folge kindlichen Spiels und gruppendynamischer Prozesse gefährdet werden konnten. Der Umstand, dass sich drei Kinder und damit ein ganz erheblicher Teil der zu beaufsichtigenden Gruppe von den Gartenarbeiten entfernt hatten, konnte der Erzieherin bei Beobachtung der ihr obliegenden Aufsichtspflicht nicht über einen längeren Zeitraum verborgen geblieben sein.

Die Frage der Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung der Aufsichtspflicht und die Ursächlichkeit einer etwaigen Aufsichtspflichtverletzung für den Schaden des Klägers war von entscheidender Bedeutung. Fraglich war insbesondere, ob die Beweislastregel des § 832 BGB im Rahmen der Amtshaftung nach § 839 BGB anwendbar ist. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Senat hat sich nun unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der Auffassung angeschlossen, die Beweislastregel des § 832 BGB gelte auch im Rahmen der Haftung für die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Aufsichtspflicht nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Nach neuerer BGH-Rechtsprechung werden sowohl bei der Haftung für Tiere als auch bei der Haftung für den Zustand von Gebäuden die Beweislastregeln des § 833 S. 2 BGB bzw. des § 836 Abs. 1 S. 2 BGB im Rahmen des § 839 BGB entsprechend herangezogen. Ein plausibler Grund, warum für § 832 Abs. 1 S. 2 BGB etwas anderes gelten soll, ist nicht zu erkennen.

Die den Bediensteten einer Kindertagesstätte obliegende Aufsichtspflicht über die ihnen anvertrauten Kinder ist, soweit sie der Vermeidung von Schäden Dritter dient, eine besondere Ausprägung der Verkehrssicherungspflichten, wie sie allgemein von der Grundnorm des § 823 BGB erfasst werden. Im Bereich der privatrechtlichen Haftung ist sie in § 832 BGB geregelt, der im Rahmen der §§ 823 ff BGB einen eigenständigen Haftungstatbestand bildet. Zwar ist für eine unmittelbare Anwendung der deliktsrechtlichen Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB im Fall von Amtspflichtverletzungen grundsätzlich kein Raum, weil § 839 BGB insofern einen Sondertatbestand darstellt. Dies bedeutet indes nicht, dass die besonderen Beweislastregeln der §§ 832, 833 S. 2 und § 836 BGB im Rahmen der Amtshaftung keine Anwendung finden können. Verdrängt werden durch den Sondertatbestand des § 839 BGB lediglich die Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB.

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