Rückwirkende Befreiung von Rentenversicherungspflicht für Syndikusrechtsanwälte?
Hessisches LSG v. 14.2.2019 - L 1 KR 617/18
Der Sachverhalt:
Der 1980 geborene Kläger war im Mai 2012 bei der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a.M. zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden. Mit Bescheid vom 14.9.2012 wurde er dann für seine Tätigkeit als stellvertretender Geldwäschebeauftragter bei der C-GmbH von der Rentenversicherungspflicht befreit.
Ab Juli 2014 begann er eine Beschäftigung als Compliance Generalist Senior Professional bei einer Bank. Im September 2014 wurde er in die Rechtsanwaltskammer München aufgenommen. Aufgrund der BSG-Urteile vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R u.a.) verzichtete er auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Daraufhin wurde die Zulassung zum 24.9.2014 widerrufen. Ab dem 14.9.2014 war er somit freiwilliges Mitglied des zuständigen Versorgungswerkes.
Im Februar 2016 wechselte der Kläger wieder zur C-GmbH. Umgehend beantragte er bei der Beklagten die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 231 Abs. 4b SGB VI sowie die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung gem. § 286f SGB VI. Auf seinen Antrag vom 18.3.2016 wurde der Kläger als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Ab dem 30.6.2016 wurde er für diese Tätigkeit gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Darüber hinaus wurde er für die Zeit vom 1.7.2014 bis 23.9.2014 gem. § 231 Abs. 4b SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit.
Mit weiterem Bescheid lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht für die Beschäftigung bei der Bank und der C-GmbH in der Zeit vom 24.9.2014 bis 29.6.2016 ab. Er sei in dieser Zeit nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer gewesen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei zum 24.9.2014 widerrufen worden. Die Voraussetzungen von § 231 Abs. 4b SGB VI und § 286f SGB VI lägen nicht vor.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das SG festgestellt, dass der Kläger im Zeitraum vom 16.2.2016 bis 29.6.2016 von der Versicherungspflicht befreit sei. Gegenstand des Gerichtsverfahrens sei nur die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, nicht hingegen die Erstattung von Beiträgen für den entsprechenden Zeitraum, da die Beklagte hierüber noch nicht entschieden habe. Nach § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI sei der Kläger ab dem 16.2.2016 für die Tätigkeit bei der C-GmbH von der Versicherungspflicht zu befreien. Im Berufungsverfahren forderte der Kläger weiterhin, ihn rückwirkend auch für den Zeitraum vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 von der Versicherungspflicht zu befreien. Das LSG hat allerdings das Urteil des SG weitestgehend bestätigt. Allerdings wurde die Revision zum BSG zugelassen.
Die Gründe:
Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger für die Zeit vom 16.2. bis 29.6.2016 - nicht hingegen für die Zeit vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 - einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht hat.
Ist eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Tätigkeit als Syndikusanwalt nach dem 1.1.2016 erteilt worden, so ist die vorherige Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI für die zurückliegende Zeit der aktuell ausgeübten Beschäftigung. Durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird ein Syndikusanwalt Mitglied der Rechtsanwaltskammer und wegen seiner Tätigkeit als Syndikusanwalt Pflichtmitglied im zuständigen Versorgungswerk. Damit können ab dem 1.1.2016 die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt werden. Gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI wirkt die Befreiung grundsätzlich vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird.
Für eine andere davor liegende Beschäftigung besteht hingegen kein Befreiungsanspruch gem. § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen wurde und deshalb keine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Infolgedessen bestand für die Tätigkeit des Klägers bei der Bank kein Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Infolge des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft war der Kläger in der Zeit vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 nicht Pflichtmitglied, sondern lediglich freiwilliges Mitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk.
Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf § 231 Abs. 4c Satz 1 SGB VI berufen. Nach dieser Vorschrift gilt eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als gegeben für Personen, die nach dem 3.4.2014 auf ihre Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet haben und bis zum 1.4.2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach der BRAO in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung beantragen. Die Fiktion bewirkt, dass auch Syndikusanwälte vom Befreiungsrecht Gebrauch machen können, die angesichts der BSG-Rechtsprechung ihre Zulassung zurückgegeben haben, bei der Zulassung nach neuem Recht gemäß der Satzung des zuständigen Versorgungswerkes jedoch aufgrund ihres Lebensalters (die Satzungen sehen in der Regel eine Altersgrenze von 45 Jahren vor) nicht mehr zur dortigen Pflichtversicherung berechtigt waren.
Ausgenommen von der Fiktion sind nach Satz 3 bloße auf dem Ortswechsel beruhende "Kammerwechsel", da in diesen Fällen der Verzicht auf die Zulassung nicht auf den Entscheidungen des BSG aus 2014 beruht. § 231 Abs. 4c Satz 1 SGB VI soll mithin den Syndikusanwälten einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht geben, die aufgrund der Überschreitung der Altersgrenze nicht Pflichtmitglied in einem Versorgungswerk werden können. Für die Frage, ob eine Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für eine Befreiung ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vorliegt, wird auf den Zeitpunkt der Entscheidungen des BSG aus 2014 abgestellt.
Die Revision war zuzulassen, da bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft während der maßgeblichen Beschäftigungszeit Voraussetzung für eine Befreiung gem. § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI ist.
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Der 1980 geborene Kläger war im Mai 2012 bei der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a.M. zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden. Mit Bescheid vom 14.9.2012 wurde er dann für seine Tätigkeit als stellvertretender Geldwäschebeauftragter bei der C-GmbH von der Rentenversicherungspflicht befreit.
Ab Juli 2014 begann er eine Beschäftigung als Compliance Generalist Senior Professional bei einer Bank. Im September 2014 wurde er in die Rechtsanwaltskammer München aufgenommen. Aufgrund der BSG-Urteile vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R u.a.) verzichtete er auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Daraufhin wurde die Zulassung zum 24.9.2014 widerrufen. Ab dem 14.9.2014 war er somit freiwilliges Mitglied des zuständigen Versorgungswerkes.
Im Februar 2016 wechselte der Kläger wieder zur C-GmbH. Umgehend beantragte er bei der Beklagten die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 231 Abs. 4b SGB VI sowie die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung gem. § 286f SGB VI. Auf seinen Antrag vom 18.3.2016 wurde der Kläger als Syndikusrechtsanwalt zugelassen. Ab dem 30.6.2016 wurde er für diese Tätigkeit gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Darüber hinaus wurde er für die Zeit vom 1.7.2014 bis 23.9.2014 gem. § 231 Abs. 4b SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit.
Mit weiterem Bescheid lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht für die Beschäftigung bei der Bank und der C-GmbH in der Zeit vom 24.9.2014 bis 29.6.2016 ab. Er sei in dieser Zeit nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer gewesen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei zum 24.9.2014 widerrufen worden. Die Voraussetzungen von § 231 Abs. 4b SGB VI und § 286f SGB VI lägen nicht vor.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das SG festgestellt, dass der Kläger im Zeitraum vom 16.2.2016 bis 29.6.2016 von der Versicherungspflicht befreit sei. Gegenstand des Gerichtsverfahrens sei nur die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, nicht hingegen die Erstattung von Beiträgen für den entsprechenden Zeitraum, da die Beklagte hierüber noch nicht entschieden habe. Nach § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI sei der Kläger ab dem 16.2.2016 für die Tätigkeit bei der C-GmbH von der Versicherungspflicht zu befreien. Im Berufungsverfahren forderte der Kläger weiterhin, ihn rückwirkend auch für den Zeitraum vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 von der Versicherungspflicht zu befreien. Das LSG hat allerdings das Urteil des SG weitestgehend bestätigt. Allerdings wurde die Revision zum BSG zugelassen.
Die Gründe:
Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger für die Zeit vom 16.2. bis 29.6.2016 - nicht hingegen für die Zeit vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 - einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht hat.
Ist eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Tätigkeit als Syndikusanwalt nach dem 1.1.2016 erteilt worden, so ist die vorherige Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI für die zurückliegende Zeit der aktuell ausgeübten Beschäftigung. Durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird ein Syndikusanwalt Mitglied der Rechtsanwaltskammer und wegen seiner Tätigkeit als Syndikusanwalt Pflichtmitglied im zuständigen Versorgungswerk. Damit können ab dem 1.1.2016 die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt werden. Gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI wirkt die Befreiung grundsätzlich vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird.
Für eine andere davor liegende Beschäftigung besteht hingegen kein Befreiungsanspruch gem. § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen wurde und deshalb keine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Infolgedessen bestand für die Tätigkeit des Klägers bei der Bank kein Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Infolge des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft war der Kläger in der Zeit vom 24.9.2014 bis 15.2.2016 nicht Pflichtmitglied, sondern lediglich freiwilliges Mitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk.
Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf § 231 Abs. 4c Satz 1 SGB VI berufen. Nach dieser Vorschrift gilt eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als gegeben für Personen, die nach dem 3.4.2014 auf ihre Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet haben und bis zum 1.4.2016 die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach der BRAO in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung beantragen. Die Fiktion bewirkt, dass auch Syndikusanwälte vom Befreiungsrecht Gebrauch machen können, die angesichts der BSG-Rechtsprechung ihre Zulassung zurückgegeben haben, bei der Zulassung nach neuem Recht gemäß der Satzung des zuständigen Versorgungswerkes jedoch aufgrund ihres Lebensalters (die Satzungen sehen in der Regel eine Altersgrenze von 45 Jahren vor) nicht mehr zur dortigen Pflichtversicherung berechtigt waren.
Ausgenommen von der Fiktion sind nach Satz 3 bloße auf dem Ortswechsel beruhende "Kammerwechsel", da in diesen Fällen der Verzicht auf die Zulassung nicht auf den Entscheidungen des BSG aus 2014 beruht. § 231 Abs. 4c Satz 1 SGB VI soll mithin den Syndikusanwälten einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht geben, die aufgrund der Überschreitung der Altersgrenze nicht Pflichtmitglied in einem Versorgungswerk werden können. Für die Frage, ob eine Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für eine Befreiung ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vorliegt, wird auf den Zeitpunkt der Entscheidungen des BSG aus 2014 abgestellt.
Die Revision war zuzulassen, da bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft während der maßgeblichen Beschäftigungszeit Voraussetzung für eine Befreiung gem. § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI ist.
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