26.02.2013

Schmerzensgeldklage: Bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden

Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Zudem läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei - wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens - Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt.

BVerfG 28.1.2013, 1 BvR 274/12
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war wegen eines Herzleidens in medizinischer Behandlung. Das behandelnde Krankenhaus lehnte die Aufnahme auf die Warteliste für die Organvermittlung zur Herztransplantation ab, weil aufgrund gravierender Verständigungsprobleme und der fehlenden Sicherheit der sog. "Compliance" - also der Mitwirkung des Patienten bei der Vor- und Nachbehandlung - keine Indikation zur Herztransplantation vorliege.

Nachdem der Beschwerdeführer auf Veranlassung eines anderen Krankenhauses auf die Warteliste genommen worden war, begehrte er Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage gegen das ursprünglich behandelnde Krankenhaus. Durch die Nichtaufnahme auf die Warteliste allein wegen fehlender Sprachkenntnisse habe die Klinik ihn diskriminiert und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt.

Das LG lehnte die Prozesskostenhilfe ab. Ein Anspruch nach dem AGG scheide aus, weil hiervon eine Benachteiligung aufgrund der Sprache nicht geschützt sei. Das OLG wies die sofortige Beschwerde zurück. Das BVerfG hat der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die angegriffenen Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 (Gleichheitssatz) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip).

Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Zudem läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei - wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens - Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde.

Infolgedessen hatten die Ausgangsgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen. Sie hatten schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden. Schließlich wird in der Literatur bereits formal die Ermächtigung der Bundesärztekammer zum Erlass von Richtlinien in Frage gestellt. Inhaltlich wird an den Richtlinien kritisiert, dass die unzureichende Mitwirkung des Patienten zu einer Kontraindikation gegen die Aufnahme in die Warteliste führen kann. Soweit die Richtlinien ferner vorsehen, dass die unzureichende Mitwirkung auch auf sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten beruhen kann, lasse dies die Möglichkeit außer Acht, einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

Eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit lag außerdem darin, dass die Ausgangsgerichte Prozesskostenhilfe verweigert hatten, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kam. Für die streitige Frage, ob ein Gespräch des Beschwerdeführers mit einer psychologisch erfahrenen Person stattgefunden hatte, kam eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht. Diese Frage war entscheidungserheblich, da nach den Richtlinien der Rat einer psychologisch erfahrenen Person einzuholen ist, bevor die Aufnahme in die Warteliste endgültig abgelehnt wird. Im Hauptsacheverfahren hätte neben der vom Krankenhaus benannten Zeugin auch der Beschwerdeführer vernommen bzw. angehört werden müssen.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 12 vom 26.2.2013
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