09.03.2011

Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung erfolgreich

Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Diesem Gebot widerspricht es, wenn ein Fachgericht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung eine entscheidungserhebliche schwierige Rechtsfrage zum Nachteil des Unbemittelten beantwortet oder von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht.

BVerfG 22.2.2011, 1 BvR 409/09
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer beantragte Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage gegen das Land NRW wegen menschenunwürdiger Unterbringung in zwei Justizvollzugsanstalten, in denen er sich zunächst in Untersuchungshaft und später in Strafhaft befunden hatte. Er sei im Jahr 2007 insgesamt 151 Tage unter menschenunwürdigen Haftbedingungen untergebracht worden: Die ihm jeweils zugewiesenen Hafträume, die er sich mit einem Mitgefangenen habe teilen müssen, hätten lediglich eine Grundfläche von 8 qm aufgewiesen. Die darin befindliche Toilette sei nur durch eine verstellbare Holzwand mit einer kleinen Sichtschutzfläche vom übrigen Raum abgetrennt gewesen.

Der Tisch, an dem die Mahlzeiten eingenommen worden seien, sei nur einen Meter von der Toilette entfernt gewesen. Abgesehen von etwa einem Monat, in dem er aufgrund einer Arbeitstätigkeit den Haftraum täglich für 8 Stunden habe verlassen können, habe er sich im Übrigen 23 Stunden täglich mit wechselnden Mitgefangenen darin befunden. Auf seine Proteste und Verlegungsanträge sei ihm nur jeweils mitgeteilt worden, dass eine Verlegung nicht möglich sei, da die Justizvollzugsanstalten überbelegt seien und es eine Warteliste gebe. Einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung habe er nicht gestellt, weil das Land mangels räumlicher Kapazitäten kontinuierlich gerichtliche Entscheidungen ignoriere.

Das LG wies das Prozesskostenhilfegesuch des Beschwerdeführers zurück. Ein Entschädigungsanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG stehe ihm nicht zu. Die gemeinsame Unterbringung von Strafgefangenen stelle ohne das Hinzutreten erschwerender, den Strafgefangenen benachteiligender Umstände keine Verletzung der Menschenwürde dar. Dazu trage der Beschwerdeführer nur unsubstantiiert vor. Ein Entschädigungsanspruch sei überdies gem. § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer es schuldhaft unterlassen habe, den ihm nach dem Strafvollzugsgesetz bzw. den für die Untersuchungshaft geltenden Vorschriften möglichen Rechtsbehelf einzulegen. Das OLG wies die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des LG zurück.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit. Das BVerfG hob die angegriffenen Entscheidungen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Diesem Gebot widerspricht es, wenn ein Fachgericht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung eine entscheidungserhebliche schwierige Rechtsfrage zum Nachteil des Unbemittelten beantwortet oder von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. So verhält es sich hier.

Nach der fachgerichtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung erfüllen die vom LG als gegeben unterstellten räumlichen Haftbedingungen die Kriterien für eine Verletzung der Menschenwürde, da in den vom Beschwerdeführer bewohnten Hafträumen die üblicherweise veranschlagten Mindestflächen pro Gefangenen unterschritten wurden und die jeweils integrierte Toilette nicht räumlich abgetrennt und belüftet war. Zusätzlicher Umstände bedurfte es nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls zur Annahme einer Menschenwürdeverletzung nicht.

Es ist ebenfalls verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass das LG der beabsichtigten Amtshaftungsklage die Erfolgsaussicht deshalb abgesprochen hat, weil der Beschwerdeführer keinen Rechtsbehelf gegen die von ihm gerügten Haftbedingungen eingelegt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Schadensersatzpflicht gem. § 839 Abs. 3 BGB nur dann vollumfänglich verneint werden, wenn die Einlegung eines gebotenen Rechtsbehelfs den Schadenseintritt gänzlich verhindert hätte. Für die Kausalität zwischen Nichteinlegung des Rechtsbehelfs und dem Schadenseintritt trägt der Schädiger die Darlegungs- und Beweispflicht. Hiervon ist das LG abgewichen. Denn für seine Annahme, dass einem Rechtsbehelf des Beschwerdeführers stattgegeben und er sofort in eine Einzelzelle verlegt worden wäre, fehlt es an einem entsprechenden Vortrag des hier darlegungs- und beweisbelasteten Landes.

Ferner hat das LG im Hinblick auf die Gewährung einer Geldentschädigung eine schwierige entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden. Das LG stützt sich insoweit auf die Rechtsprechung des BGH, der eine Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen von Zusatzerfordernissen wie etwa der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs oder der konkreten Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohls abhängig macht. Dabei hat das LG allerdings vernachlässigt, dass der BGH die Zusatzerfordernisse erkennbar an die kurze Dauer jener menschenunwürdigen Unterbringung von lediglich zwei Tagen geknüpft hat. Demgegenüber ist hier ein Zeitraum zu veranschlagen, der um ein Vielfaches länger ausfällt.

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BVerfG PM Nr. 20 vom 9.3.2011
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