05.10.2012

Vorrecht des Gläubigers gem. § 850d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB vor anderen Unterhaltsberechtigten muss sich nicht aus Titel ergeben

Für den Nachweis der Vollstreckungsprivilegierung eines Unterhaltsanspruchs gem. § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO muss der Gläubiger einen Titel vorlegen, aus dem sich ergibt, dass der Vollstreckung ein entsprechender Unterhaltsanspruch zugrunde liegt. Die Bevorrechtigung des Gläubigers gem. § 850d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten muss sich dagegen nicht aus dem Titel ergeben; die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter hat das Vollstreckungsorgan bei der Bemessung des pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO selbständig zu prüfen und festzulegen.

BGH 6.9.2012, VII ZB 84/10
Der Sachverhalt:
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner, ihren früheren Ehemann, die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen. Mit Urteil des AG - Familiengerichts - von Mai 2010 wurde die 1984 zwischen den Parteien geschlossene Ehe geschieden. Am gleichen Tag schlossen die Gläubigerin und der Schuldner vor dem AG einen Zwischenvergleich, in dem sich der Schuldner verpflichtete, bis zum rechtskräftigen Abschluss der Folgesache "nachehelicher Unterhalt" einen monatlichen Ehegattenunterhalt an die Gläubigerin i.H.v. 556 € zu zahlen. Im Juni 2010 heiratete der Schuldner seine jetzige Ehefrau, der er nach seinem Vortrag in vollem Umfang unterhaltspflichtig ist.

Wegen Unterhaltsrückstandes sowie künftig fällig werdenden mtl. Unterhalts von 556 € hat die Gläubigerin im Juli 2010 gegen den Schuldner einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitseinkommens gepfändet worden sind. Hinsichtlich des pfandfreien Betrags ist angeordnet, dass dem Schuldner von seinem Nettoeinkommen 760 € mtl. verbleiben dürfen. Zur Begründung ist ausgeführt: "Gem. §§ 850d II ZPO, 1609 BGB ist ein neuer Ehepartner des Schuldners der hier vollstreckenden Gläubigerin gegenüber nachrangig und findet keine Berücksichtigung".

Das AG - Vollstreckungsgericht - wies die Erinnerung des Schuldners, mit der er die Erhöhung des pfandfreien Betrages wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner jetzigen Ehefrau begehrt hat, zurück. Schon der erste Anschein spreche dafür, dass die titulierten Unterhaltsansprüche der Gläubigerin gegenüber solchen der jetzigen Ehefrau vorrangig seien. Das LG gab der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Schuldners statt. Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das LG hat zu Unrecht bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO die Festlegung der Rangfolge zwischen der Gläubigerin und der jetzigen Ehefrau des Schuldners nach § 850d Abs. 2 ZPO, § 1609 Nr. 2, 3 BGB unterlassen.

Entgegen der Auffassung des LG muss sich bei der Zwangsvollstreckung von Unterhaltsansprüchen nach § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO aus dem Vollstreckungstitel allein ergeben, dass der Vollstreckung ein Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt, nicht hingegen, dass der Gläubiger gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten bevorrechtigt ist. Zu § 850f Abs. 2 ZPO hat der BGH bereits entschieden, dass es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts ist, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Bei der Prüfung, ob der Gläubiger aus einem in der Zwangsvollstreckung privilegierten Anspruch vorgeht, ist es an die Auffassung des Prozessgerichts gebunden.

Diese Grundsätze sind auch auf die nach § 850d Abs. 1 ZPO privilegierte Zwangsvollstreckung anzuwenden. Daher muss der Gläubiger dem Vollstreckungsorgan einen Titel vorlegen, aus dem sich - ggf. im Wege der Auslegung - die Qualifikation des zugrunde liegenden Anspruchs als Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art ergibt. Dass sich darüber hinaus die Vorrangstellung des Gläubigers gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten gem. § 850d Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1609 BGB aus dem Titel ergeben muss und im Vollstreckungsverfahren nicht mehr geprüft werden kann, ist nicht erforderlich. Vielmehr hat das Vollstreckungsorgan die Aufgabe, diese Rangfolge bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO zu bestimmen.

Hinsichtlich der Rangfolge mehrerer nach § 850d Abs. 1 ZPO Unterhaltsberechtigter bestimmt § 850d Abs. 2 BGB, dass diese mit ihren Ansprüchen in der Reihenfolge nach § 1609 BGB und § 16 LPartG zu berücksichtigen sind. Damit macht diese Vorschrift die Prüfung der materiell-rechtlichen Rangfolge zum Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens; anderenfalls könnte der dem Schuldner nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO zu belassende Einkommensanteil im Vollstreckungsverfahren nicht bestimmt werden.

Vorliegend hat sich der Schuldner in dem am zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich dazu verpflichtet, der Gläubigerin als seiner früheren Ehefrau mtl. Ehegattenunterhalt i.H.v. 556 € zu zahlen. Damit ergibt sich aus dem Titel, dass der Vollstreckung ein privilegierter Unterhaltsanspruch der in § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO genannten Art zugrunde liegt. Nach alledem hätte das LG bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommensanteils gem. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO die Rangfolge zwischen der Gläubigerin und der jetzigen Ehefrau des Schuldners nach § 850d Abs. 2 ZPO, § 1609 Nr. 2, 3 BGB festlegen müssen.

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