23.01.2020

Vorsteuerabzug aus Rechtsanwaltskosten zur Prüfung von Haftungsansprüchen in der Insolvenz

Im Rahmen der Abwicklung des insolventen Unternehmens anfallende Kosten zur Prüfung der Frage, ob ein Anspruch nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB besteht, gehören grundsätzlich zu den Allgemeinkosten der früheren unternehmerischen Tätigkeit.

Kurzbesprechung
BFH 18.9.2019 - XI R 19/17

UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 2
UStDV § 43
InsO §§ 64, 93
InsVV § 4
HGB §§ 171, 172 Abs. 4 Sätze 1 und 2


Das Recht auf Vorsteuerabzug steht der Insolvenzmasse (nur) dann zu, wenn der Insolvenzverwalter die Masse wirksam verpflichtet hat. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 UStG).

Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG somit voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt.

Damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann, muss grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören. Da die Aufwendungen mithin Teil der Kosten der Ausgangsumsätze sein müssen, für die die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden, müssen die Kostenelemente in der Regel entstanden sein, bevor der Steuerpflichtige die besteuerten Umsätze ausführt, denen sie zuzurechnen sind.

Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und als solche Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen. Diese Kosten stehen aber nur dann in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, wenn sie ihren ausschließlichen Entstehungsgrund in dieser Tätigkeit haben.

Somit sind auch nach Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit als solcher Vorsteuerbeträge abziehbar, sofern Leistungen bezogen werden, die zwar in einem unmittelbaren Kosten- und Veranlassungszusammenhang mit einem nicht steuerbaren Vorgang stehen, jedoch gleichzeitig allgemeine Aufwendungen der gesamten (abgewickelten) geschäftlichen Tätigkeit darstellen.

Die Ausgangsleistungen des Unternehmers müssen schließlich steuerpflichtig oder in § 15 Abs. 3 UStG benannt sein. Denn werden die von einem Steuerpflichtigen bezogenen Leistungen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, so kann es weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen. Im Insolvenzverfahren eines Unternehmers, der seinen Geschäftsbetrieb bereits eingestellt hat, kommt es für den Vorsteuerabzug insofern auf seine frühere wirtschaftliche Gesamttätigkeit an.

Aufgrund der vorstehenden Rechtsgrundsätze sind Leistungen eines Rechtsanwalts dann "für das Unternehmen" bezogen, wenn sie durch die unternehmerische Tätigkeit entweder durch ganz bestimmte Ausgangsumsätze oder als allgemeine Kosten der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit veranlasst sind. Dabei teilen Prozesskosten grundsätzlich die Qualifikation der Aufwendungen, die Gegenstand des Prozesses waren. Ausschlaggebend ist danach, worin der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Gegenstandes des Verfahrens gesehen wird. Sind z.B. die Aufwendungen, die Gegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens waren, einkommensteuerrechtlich als Werbungskosten zu beurteilen, gilt das gleichermaßen für die damit in Zusammenhang stehenden Prozesskosten. Ist Gegenstand des Rechtsstreits dagegen ein Vorgang in der Privatsphäre, sind auch die Prozesskosten nicht als Betriebsausgaben abziehbar.

Im Hinblick auf Aufwendungen mit gesellschaftsrechtlichem Bezug ergibt sich damit, dass zu den allgemeinen Kosten des unternehmerischen Bereichs regelmäßig die Kosten aufgrund gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzungen zählen. Gleiches gilt für Dienstleistungen bei der Gründung oder bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Bareinlage, soweit die Gesellschaft umsatzsteuerpflichtige Umsätze tätigt oder zu tätigen beabsichtigt.

Bei Insolvenz einer Personengesellschaft ist zu unterscheiden, ob der nach Insolvenzrecht abzuwickelnde Vermögensbereich oder die Gesellschafter persönlich betroffen sind. Insofern gehören auch Steuerberatungsleistungen oder Prozessführungstätigkeiten bezüglich der Unternehmenssteuern bzw. Verpflichtungen aus der aktiven unternehmerischen Tätigkeit zu den im Zusammenhang mit der Abwicklung der unternehmerischen Tätigkeit stehenden Leistungen. Gleiches gilt für die Kosten eines sachverständigen Dritten (z.B. eines Kassenprüfers i.S. des § 69 InsO), soweit er Aufgaben im Rahmen der Verwaltung des insolventen Unternehmens im Auftrag des Insolvenzverwalters ausführt.

Im Streitfall konnten die streitgegenständlichen Ausgaben für die Beauftragung der Rechtsanwälte im Rahmen der Abwicklung des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin angefallen sein und damit nach den o.g. Grundsätzen zu den Allgemeinkosten der früheren unternehmerischen Tätigkeit gehören.

Vom Insolvenzverwalter nach § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB bzw. § 93 InsO geltend gemachte Haftungsansprüche dienen ausschließlich der Befriedigung von im unternehmerischen Bereich entstandenen Forderungen, denn die nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter einzuziehende Hafteinlage darf nur noch zur gleichmäßigen (anteiligen) Befriedigung der berechtigten Gläubiger verwendet werden. Da die Insolvenzforderungen im vorliegenden Streitfall ihren ausschließlichen Entstehungsgrund in der unternehmerischen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin hatten, hängen die Kosten zu deren Befriedigung unmittelbar mit ihrer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen. Insofern diente die Prüfung der Haftungsansprüche dazu, Kapital für unternehmerische Zwecke, nämlich die Befriedigung der Insolvenzforderungen im Rahmen der Abwicklung des Unternehmens, zu beschaffen.

Allerdings hatte das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob Empfänger der Rechtsanwaltsleistungen der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes war, oder ob er diese Leistungen selbst bezogen hatte.

Grundsätzlich ist ein Insolvenzverwalter mit seinem Amt höchstpersönlich betraut und kann dieses weder ganz noch teilweise auf andere Personen übertragen. Außerhalb dieser höchstpersönlich wahrzunehmenden Tätigkeiten ist eine Delegation, z.B. an externe Hilfskräfte, aber zulässig. Dazu kann auch die (vorprozessuale) Einschaltung von Rechtsanwälten bezüglich spezifischer Rechtsfragen gehören, wobei sich je nach Handlungsweise unterschiedliche Folgen für seine Vergütung ergeben.

Zum einen kann der Insolvenzverwalter persönlich handeln und Aufträge vergeben, deren Kosten dann entweder zu den allgemeinen (mit der Insolvenzverwaltervergütung abgegoltenen) Geschäftskosten zählen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung --InsVV--) oder die er sich als Auslagen erstatten lassen kann.

Zum anderen kann der Insolvenzverwalter jedoch auch als Partei kraft Amtes "im Rahmen der Verwaltung" Verträge mit Wirkung für (und zu Lasten der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) abschließen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV). Entsprechend ist dann bei Fehlern der beauftragten Hilfsperson ein eventueller Schadensersatzanspruch Bestandteil der Masse.

Das FG hatte hierzu lediglich festgestellt, dass der Insolvenzverwalter durch von ihm beauftragte Rechtsanwälte die Haftungsansprüche prüfen ließ. In welcher Funktion er hierbei handelte und wem gegenüber die Rechtsanwälte ihre Leistungen erbrachten, bedurfte aus Sicht des FG keiner weiteren Klärung. Darauf kommt es aber an. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang zu ermitteln haben, ob die Vertragsbeziehungen zwischen dem Insolvenzverwalter und den Rechtsanwälten dokumentiert wurden und wie die Leistungen abgerechnet wurden, wobei die Rechnungen lediglich ein Beweisanzeichen darstellen.

Auf die Prüfung durch das Insolvenzgericht im Rahmen der Festsetzung nach § 64 InsO kommt es nicht an. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen. Vergütung und zu erstattende Auslagen werden nach § 64 Abs. 1 InsO vom Insolvenzgericht durch Beschluss festgesetzt. Auf das zivilrechtliche Vertragsverhältnis --und noch weniger auf das umsatzsteuerrechtliche Leistungsverhältnis-- hat die nachträgliche Prüfung durch das Insolvenzgericht jedoch keine Auswirkung.
 
Verlag Dr. Otto Schmidt
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