WEG: Zur Herabsetzung der Stimmkraft des Eigentümers von sog. "Geisterwohnungen"
BGH v. 18.1.2019 - V ZR 72/18
Der Sachverhalt:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Beklagte zu 1) ist Bauträgerin. Sie hatte das ursprünglich in ihrem Eigentum stehende Grundstück 1994 in Wohnungs- und Teileigentum aufgeteilt. Danach sollten in vier Bauabschnitten auf dem Grundstück vier Häuser und eine in vier Unterabschnitte aufgeteilte Tiefgarage errichtet und hieran acht Untergemeinschaften gebildet werden, davon jeweils eine Untergemeinschaft für jedes Haus und jeden Tiefgaragenabschnitt.
Die Beklagte zu 1) errichtete zwei Häuser mit 122 Wohneinheiten (Bauabschnitte I und II), die im Eigentum der Kläger und der Beklagten zu 2) stehen und denen jeweils Sondernutzungsrechte an Tiefgaragenstellplätzen oder Parkboxen in Doppelparkern zugeordnet sind. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin von 120 Wohnungs- und Teileigentumseinheiten in den beiden bislang nicht errichteten Häusern (Bauabschnitte III und IV). Neun dieser Einheiten sind Sondernutzungsrechte an in den Bauabschnitten I und II gelegenen Tiefgaragenstellplätzen zugeordnet.
Die Gemeinschaftsordnung kann mit einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen geändert werden, wenn sachliche Gründe vorliegen. Die Beklagten zu 1) besitzt einen Stimmkraftanteil von rund 48 %. In einer Eigentümerversammlung im Januar 2017 wurde der Antrag abgelehnt, die Teilungserklärung dahingehend abzuändern, dass sich das Stimmrecht der Beklagten zu 1) nach dem jeweiligen Miteigentumsanteil für die nicht errichteten Wohnungen berechnet, bis diese bezugsfertig errichtet werden.
Das AG hat den Stimmkraftanteil der Beklagten zu 1) auf zurzeit etwa 36 % herabgesetzt. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1) zurückgewiesen. Und auch die Revision der Beklagten zu 1) vor dem BGH blieb erfolglos.
Gründe:
Die Kläger haben einen Anspruch aus Kläger aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Abänderung der Stimmkraftregelung in der Gemeinschaftsordnung.
Die Vorschrift begründet einen (Individual-)Anspruch jedes Wohnungs- oder Teileigentümers gegen die anderen Miteigentümer auf Abschluss einer Vereinbarung, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Die Vorinstanzen haben insofern im vorliegenden Fall alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt. Bei Berücksichtigung der Bedeutung des Stimmrechts ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht schwerwiegende Gründe i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG darin erblickt hat, dass der Beklagten zu 1) aufgrund der Stimmrechtsregelung der Teilungserklärung, die ersichtlich von der zeitnahen Fertigstellung aller Wohnungen der Wohnanlage ausgeht, fast die Hälfte aller Stimmen zukommt, obwohl sie die Bauabschnitte III und IV seit mehr als 20 Jahren nicht errichtet und folglich kein Sondereigentum an einer tatsächlich vorhandenen Wohnung hat.
Die Wohnungseigentümer werden in besonders wichtigen Angelegenheiten "fremdbestimmt" durch eine Miteigentümerin mit faktischer Mehrheitsmacht, die keine Wohnungen hält und daher von der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums allenfalls in Randbereichen betroffen ist. Nachdem eine baldige Errichtung der weiteren Sondereigentumseinheiten auch 20 Jahre nach dem Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht absehbar ist, kann es als unbillig angesehen werden, die übrigen Wohnungseigentümer an einer Stimmrechtsregelung festzuhalten, nach der die nicht errichteten Einheiten bei der Bemessung der Stimmkraft voll zu berücksichtigen sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 1) ihre faktische Mehrheitsmacht in rechtsmissbräuchlicher Weise ausübt, indem sie erforderliche Beschlüsse blockiert oder Beschlüsse fasst, die nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen.
Auch die von dem Berufungsgericht bestimmte Rechtsfolge des Anspruchs der Kläger aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Änderung der Teilungserklärung war nicht zu beanstanden. Denn für die Frage, ob die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens bei der Herabsetzung der Stimmkraft des Eigentümers von "Geisterwohnungen" eingehalten sind, kommt es nicht auf die Überzeugungskraft der Berechnungsmethode, sondern allein auf das Ergebnis der Berechnung an, wenn und soweit sich dieses Ergebnis - wie hier - mit der gewählten Methode zweifelsfrei ermitteln lässt. Dem Umstand, dass das Stimmrecht der Wohnungseigentümer zu dem Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehört und nur ausnahmsweise und lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, ist auf der Rechtsfolgenseite des Anspruchs aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG dadurch Rechnung zu tragen, dass die Stimmkraft des Eigentümers von "Geisterwohnungen" nur maßvoll und nur vorübergehend bis zur Fertigstellung der verbleibenden Sondereigentumseinheiten beschränkt wird. Diese Vorgaben haben die Vorinstanzen aber beachtet.
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Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Beklagte zu 1) ist Bauträgerin. Sie hatte das ursprünglich in ihrem Eigentum stehende Grundstück 1994 in Wohnungs- und Teileigentum aufgeteilt. Danach sollten in vier Bauabschnitten auf dem Grundstück vier Häuser und eine in vier Unterabschnitte aufgeteilte Tiefgarage errichtet und hieran acht Untergemeinschaften gebildet werden, davon jeweils eine Untergemeinschaft für jedes Haus und jeden Tiefgaragenabschnitt.
Die Beklagte zu 1) errichtete zwei Häuser mit 122 Wohneinheiten (Bauabschnitte I und II), die im Eigentum der Kläger und der Beklagten zu 2) stehen und denen jeweils Sondernutzungsrechte an Tiefgaragenstellplätzen oder Parkboxen in Doppelparkern zugeordnet sind. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin von 120 Wohnungs- und Teileigentumseinheiten in den beiden bislang nicht errichteten Häusern (Bauabschnitte III und IV). Neun dieser Einheiten sind Sondernutzungsrechte an in den Bauabschnitten I und II gelegenen Tiefgaragenstellplätzen zugeordnet.
Die Gemeinschaftsordnung kann mit einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen geändert werden, wenn sachliche Gründe vorliegen. Die Beklagten zu 1) besitzt einen Stimmkraftanteil von rund 48 %. In einer Eigentümerversammlung im Januar 2017 wurde der Antrag abgelehnt, die Teilungserklärung dahingehend abzuändern, dass sich das Stimmrecht der Beklagten zu 1) nach dem jeweiligen Miteigentumsanteil für die nicht errichteten Wohnungen berechnet, bis diese bezugsfertig errichtet werden.
Das AG hat den Stimmkraftanteil der Beklagten zu 1) auf zurzeit etwa 36 % herabgesetzt. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1) zurückgewiesen. Und auch die Revision der Beklagten zu 1) vor dem BGH blieb erfolglos.
Gründe:
Die Kläger haben einen Anspruch aus Kläger aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Abänderung der Stimmkraftregelung in der Gemeinschaftsordnung.
Die Vorschrift begründet einen (Individual-)Anspruch jedes Wohnungs- oder Teileigentümers gegen die anderen Miteigentümer auf Abschluss einer Vereinbarung, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Die Vorinstanzen haben insofern im vorliegenden Fall alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt. Bei Berücksichtigung der Bedeutung des Stimmrechts ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht schwerwiegende Gründe i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG darin erblickt hat, dass der Beklagten zu 1) aufgrund der Stimmrechtsregelung der Teilungserklärung, die ersichtlich von der zeitnahen Fertigstellung aller Wohnungen der Wohnanlage ausgeht, fast die Hälfte aller Stimmen zukommt, obwohl sie die Bauabschnitte III und IV seit mehr als 20 Jahren nicht errichtet und folglich kein Sondereigentum an einer tatsächlich vorhandenen Wohnung hat.
Die Wohnungseigentümer werden in besonders wichtigen Angelegenheiten "fremdbestimmt" durch eine Miteigentümerin mit faktischer Mehrheitsmacht, die keine Wohnungen hält und daher von der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums allenfalls in Randbereichen betroffen ist. Nachdem eine baldige Errichtung der weiteren Sondereigentumseinheiten auch 20 Jahre nach dem Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht absehbar ist, kann es als unbillig angesehen werden, die übrigen Wohnungseigentümer an einer Stimmrechtsregelung festzuhalten, nach der die nicht errichteten Einheiten bei der Bemessung der Stimmkraft voll zu berücksichtigen sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 1) ihre faktische Mehrheitsmacht in rechtsmissbräuchlicher Weise ausübt, indem sie erforderliche Beschlüsse blockiert oder Beschlüsse fasst, die nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen.
Auch die von dem Berufungsgericht bestimmte Rechtsfolge des Anspruchs der Kläger aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Änderung der Teilungserklärung war nicht zu beanstanden. Denn für die Frage, ob die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens bei der Herabsetzung der Stimmkraft des Eigentümers von "Geisterwohnungen" eingehalten sind, kommt es nicht auf die Überzeugungskraft der Berechnungsmethode, sondern allein auf das Ergebnis der Berechnung an, wenn und soweit sich dieses Ergebnis - wie hier - mit der gewählten Methode zweifelsfrei ermitteln lässt. Dem Umstand, dass das Stimmrecht der Wohnungseigentümer zu dem Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehört und nur ausnahmsweise und lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann, ist auf der Rechtsfolgenseite des Anspruchs aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG dadurch Rechnung zu tragen, dass die Stimmkraft des Eigentümers von "Geisterwohnungen" nur maßvoll und nur vorübergehend bis zur Fertigstellung der verbleibenden Sondereigentumseinheiten beschränkt wird. Diese Vorgaben haben die Vorinstanzen aber beachtet.
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