23.07.2013

Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts bei gerichtlicher Geltendmachung psychischer Schäden nach einem Verkehrsunfall

Ein Rechtsanwalt darf sich nicht ohne weiteres mit dem begnügen, was sein Auftraggeber ihm an Informationen liefert, sondern muss um zusätzliche Aufklärung bemüht sein, wenn den Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Er ist zu rechtzeitigem Vortrag verpflichtet und muss damit verhindern, dass einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel als verspätet zurückgewiesen werden.

BGH 13.6.2013, IX ZR 155/11
Der Sachverhalt:
Der beklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in einem erfolglos gebliebenen Rechtsstreit vor dem LG und OLG gegen den Haftpflichtversicherer eines Unfallgegners. Dieser hatte im März 2002 einen Auffahrunfall verursacht, den der Kläger als Beifahrer erlitten hat. Der Kläger war bereits 1996 Opfer eines Auffahrunfalls mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen gewesen. Aufgrund des ersten Unfalls, der zum Verlust seiner Arbeitsstelle geführt hatte, lebte er in der ständigen Angst, dass sein körperlicher Zustand nicht so wiederherstellt werden könnte, wie vor diesem Unfall.

In dem wegen des 2002 erlittenen Unfalls geführten Prozess trug der Beklagte erstmals am Tag vor der mündlichen Verhandlung, in der das abweisende Urteil des LG erging, zu den psychischen Folgen des Unfalls vor. Das LG befasste sich allerdings nur mit den körperlichen Auswirkungen des erneuten Unfallereignisses. Dies beanstandete der Beklagte in seiner Berufungsbegründung, in der er, ohne den Vortrag zu vertiefen, geltend machte, dass ein psychologisches Gutachten eingeholt werden müsse. Eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin aus Oktober 2005 legte er dem OLG erst Ende Juli 2006 vor. Diesen Vortrag wies das OLG als verspätet zurück. Den erstinstanzlichen Vortrag zu den psychischen Auswirkungen sah es als nicht hinreichend substantiiert an.

Der Kläger warf dem Beklagten vor, im Vorprozess nicht ausreichend zu den psychischen Folgen des zweiten Unfalls, der zu einer posttraumatischen Belastungsstörung mit schwerer depressiver Reaktion und als Folge dieser Erkrankung zur dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt habe, vorgetragen und die ärztliche Stellungnahme zu spät vorgelegt zu haben. Er forderte u.a. 136.209 € Schadensersatz. Auf die Revision des Klägers hob der BGH die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Der Vorprozess hätte bei pflichtgemäßem anwaltlichem Handeln des Beklagten dem Grunde nach wegen seiner psychischen Schädigung zugunsten des Klägers entschieden werden müssen.

Ein Rechtsanwalt darf sich nicht ohne weiteres mit dem begnügen, was sein Auftraggeber ihm an Informationen liefert, sondern muss um zusätzliche Aufklärung bemüht sein, wenn den Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Er ist zu rechtzeitigem Vortrag verpflichtet und muss damit verhindern, dass einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel als verspätet zurückgewiesen werden. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist.

Infolgedessen war von einer schuldhaften Verletzung der Pflichten des Beklagten bei der Vertretung des Klägers im Vorprozess auszugehen. Der Kläger hatte bereits frühzeitig gegenüber dem Beklagten seine unfallbedingten psychischen Beeinträchtigungen angesprochen. Ein dem Gebot des sichersten Weges verpflichteter Rechtsanwalt hätte die Beibringung entsprechender weiterer Nachweise zur Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die geschilderten psychischen Beeinträchtigungen nicht lediglich abwarten dürfen. Auch die notwendige Zeit für ein Privatgutachten hätte dem Kläger nach Darlegung der Erforderlichkeit vom Prozessgericht gewährt werden müssen. Stattdessen reichte er unmittelbar vor Prozesstermin den Befundbericht der Ärztin aus Oktober 2005 ein, aus dem sich nicht ergab, dass die dort beschriebenen psychischen Beschwerden im Zusammenhang mit dem im Jahr 2002 erlittenen Unfall stehen.

Das OLG hätte letztlich den haftungsrechtlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der beim Kläger eingetretenen psychischen Störung nicht aufgrund fehlender objektiver Vorhersehbarkeit solcher Störungen verneinen dürfen. Denn die Zurechnung von Folgeschäden scheitert nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen. Dies hatte das Berufungsgericht zu Unrecht anders gesehen.

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