23.01.2020

Zum Recht auf Zugang zu Akten aus einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln

Der EuGH hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten, die in den Akten zu einem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln enthalten sind, bestätigt. Ein Widerspruch gegen einen solchen Zugang muss Erläuterungen zu Art, Gegenstand und Tragweite der Daten enthalten, deren Verbreitung geschäftliche Interessen beeinträchtigen würde.

EuGH v. 22.1.2020 - C-175/18 P u.a.
Der Sachverhalt:
Die beiden vorliegenden Rechtssachen (C-175/18 P und C-178/18 P) betreffen die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), mit denen gem. der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 Zugang zu mehreren Dokumenten, nämlich Berichten über toxikologische Prüfungen und einem Bericht über eine klinische Prüfung (streitige Berichte) gewährt wurde. Diese Dokumente waren von den Klägerinnen im Rahmen ihrer Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen zweier Arzneimittel - eines davon ein Humanarzneimittel (C-175/18 P - PTC Therapeutics International/EMA), das andere ein Tierarzneimittel (C-178/18 P - MSD Animal Health Innovation und Intervet International/EMA) - vorgelegt worden.

Die EMA beschloss, nachdem sie das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel genehmigt hatte, den Inhalt dieser Berichte Dritten vorbehaltlich einiger Schwärzungen zugänglich zu machen. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen, die argumentierten, dass für diese Berichte in ihrer Gesamtheit eine Vermutung der Vertraulichkeit bestehen müsse, vertrat die EMA die Ansicht, dass die genannten Berichte mit Ausnahme der bereits unkenntlich gemachten Informationen keinen vertraulichen Charakter aufwiesen.

Das EuG wies die Klagen auf Nichtigerklärung der Beschlüsse der EMA ab. Die Rechtsmittel der Klägerinnen hatten vor dem EuGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Hinsichtlich der Anwendung einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit durch ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle (in der Folge nur Organ) der Union, bei dem bzw. der ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt wird, ist zunächst festzustellen, dass es dem betreffenden Organ freisteht, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten. So ist es möglich zu entscheiden, ob die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich das Interesse beeinträchtigt, das durch eine oder mehrere der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt wird. Das Organ ist jedoch nicht verpflichtet, seine bzw. ihre Entscheidung auf eine solche allgemeine Vermutung zu stützen. Daher stellt der Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit eine bloße Option dar; es bleibt stets die Möglichkeit, eine konkrete und individuelle Prüfung der fraglichen Dokumente vorzunehmen, um festzustellen, ob diese ganz oder teilweise durch eine der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt sind. Insofern hat die EMA hier zu Recht eine konkrete und individuelle Prüfung dieser Berichte durchgeführt, die sie dazu veranlasste, bestimmte Passagen dieser Berichte unkenntlich zu machen.

Zu der Frage, ob der Beschluss der EMA, Zugang zu den streitigen Berichten zu gewähren, die geschäftlichen Interessen der Rechtsmittelführerinnen beeinträchtigte, und damit die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorliegt, ist folgendes festzustellen: Eine Person, die beantragt, dass ein Organ, auf das bzw. die diese Verordnung Anwendung findet, eine der nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen anwendet, muss ebenso wie das betreffende Organ, wenn dieses bzw. diese beabsichtigt, den Zugang zu Dokumenten zu versagen, erläutern, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch eine dieser Ausnahmen geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Es verhält sich weiterhin so, dass das Vorliegen einer Gefahr der missbräuchlichen Verwendung von Daten, die in einem Dokument enthalten sind, zu dem Zugang beantragt wird, nachgewiesen werden muss und dass ein bloßer nicht belegter Hinweis auf ein allgemeines Risiko einer solchen Verwendung nicht dazu führen kann, dass diese Daten als von der Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen erfasst angesehen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Person, die die Anwendung dieser Ausnahme beantragt, nicht genauere Angaben zu Art, Gegenstand und Tragweite dieser Daten macht, die den Unionsrichter darüber aufklären können, wie die Verbreitung dieser Daten die geschäftlichen Interessen der Personen, auf die sie sich beziehen, konkret und bei vernünftiger Betrachtung absehbar beeinträchtigen kann. Das EuG ist vorliegend zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Abschnitte der streitigen Berichte, die verbreitet wurden, keine Daten darstellten, die unter die Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen fallen können.

Das EuG kann bei einem nicht hinreichend klaren und bestimmten Vorbringen einer Partei eine implizite Begründung geben. Es war Sache der Klägerinnen, der EMA im dortigen Verwaltungsverfahren Art, Gegenstand und Tragweite der Daten zu erläutern, deren Verbreitung ihren geschäftlichen Interessen schaden würde. Das EuG durfte in Ermangelung dieser Erläuterungen daher implizit feststellen, dass die von den Klägerinnen nach Erlass der Beschlüsse der EMA vorgelegten Zeugenaussagen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse nicht erheblich waren. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Beschlusses zur Verbreitung eines Dokuments kann nämlich nur anhand der Informationen beurteilt werden, die der EMA zur Verfügung standen, als sie den betreffenden Beschluss erließ.

Schließlich war hier die Ausnahme vom Recht auf Dokumentenzugang zum Schutz des Entscheidungsprozesses, wie sie in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehen ist, zu prüfen. Soweit die Klägerinnen dem EuG vorhalten, dass die Verbreitung der streitigen Berichte während der Ausschließlichkeitsfrist für die Daten den Entscheidungsprozess hinsichtlich etwaiger Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Generika während dieses Zeitraums ernstlich beeinträchtige, ist festzustellen, dass sie auf andere Entscheidungsprozesse Bezug nehmen als auf denjenigen, der die Genehmigung für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel betrifft, der, wie bereits vom EuG festgestellt, abgeschlossen war, als der Antrag auf Zugang zu den streitigen Berichten gestellt wurde.
EuGH PM Nr. 6 vom 22.1.2020
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