27.02.2012

Zum Selbstbehalt gegenüber Unterhaltsansprüchen erwachsener Kinder

Sollte ein erwachsenes Kind seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verlieren, so ist es nicht zu beanstanden, einem Elternteil gegenüber dem Unterhaltsanspruch des Kindes einen ebenso erhöhten angemessenen Selbstbehalt zu belassen, wie ihn die unterhaltsrechtlichen Tabellen und Leitlinien für den Elternunterhalt vorsehen. Das gilt insbesondere, wenn er seinen Abkömmling im Falle eigener Bedürftigkeit nicht seinerseits auf Zahlung von Elternunterhalt wird in Anspruch nehmen können.

BGH 18.1.2012, XII ZR 15/10
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Er gewährt der 1958 geborenen, inzwischen erwerbsunfähigen Tochter des Beklagten seit Februar 2007 fortlaufend Eingliederungshilfe. Infolgedessen nimmt der Kläger nun den 1935 geborenen Beklagten, der als Rentner über Einkünfte von rund 1.372 € und seit Juli 2009 von 1.408 € verfügt, aus übergegangenem Recht gem. § 94 Abs. 2 SGB XII auf rückständigen und laufenden Unterhalt i.H.v. monatlich 26 € seit März 2007 und i.H.v. 27,69 € seit Januar 2009 in Anspruch.

AG und OLG haben den Unterhaltsanspruch abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Der Unterhaltsanspruch scheiterte daran, dass der Beklagte nicht leistungsfähig i.S.v. § 1603 Abs. 1 BGB war.

Den in den Unterhaltstabellen angesetzten Selbstbehaltsbeträgen, die ein Unterhaltsverpflichteter grundsätzlich gegenüber einem minderjährigen oder einem volljährigen Kind verteidigen kann, liegen andere Lebensverhältnisse zugrunde, als im vorliegenden Fall zu beurteilen war. Zwar müssen Eltern regelmäßig damit rechnen, ihren Kindern auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu Unterhaltsleistungen verpflichtet zu sein. Haben die Kinder danach eine eigene Lebensstellung erlangt, in der sie auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen sind, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie diese Elternunabhängigkeit auch behalten. Darauf dürfen sich, wenn nicht bereits eine andere Entwicklung absehbar ist, grundsätzlich auch die Eltern einstellen.

Verliert das erwachsene Kind zu einem späteren Zeitpunkt wieder seine wirtschaftliche Selbständigkeit, wie hier durch den Eintritt einer Behinderung, findet die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen in der Regel erst statt, wenn dieser sich selbst bereits in einem höheren Lebensalter befindet, seine Lebensverhältnisse demzufolge bereits längerfristig seinem Einkommensniveau angepasst hat oder wie hier sogar bereits Rente bezieht und sich dann einer Unterhaltsforderung ausgesetzt sieht, mit der er nach dem regelmäßigen Ablauf nicht mehr zu rechnen brauchte. In tatsächlicher Hinsicht würde die Notwendigkeit, nicht unerhebliche Abstriche von dem derzeitigen Lebensstandard hinzunehmen, auf eine übermäßige Belastung des Unterhaltspflichtigen hinauslaufen. Das gilt insbesondere, wenn er seinen Abkömmling im Falle eigener Bedürftigkeit nicht seinerseits auf Zahlung von Elternunterhalt wird in Anspruch nehmen können.

Mit Rücksicht darauf ist es gerechtfertigt, dass der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verloren hat, mit einem erhöhten Betrag, wie er in den Tabellen und Leitlinien insoweit als Mindestbetrag vorgesehen ist, angesetzt und gegebenenfalls noch dadurch erhöht wird, dass dem Unterhaltspflichtigen ein etwa hälftiger Anteil seines für den Elternunterhalt einsetzbaren bereinigten Einkommens zusätzlich verbleibt.

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