08.01.2016

Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Entscheidungen über aus einer verletzten Primärverpflichtung abgeleitete Sekundäransprüche

Die Gerichte des Orts, an dem die Primärverpflichtung aus einem Vertragsverhältnis i.S.v. Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO alt (jetzt Art. 7 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO) erfüllt worden ist oder zu erfüllen war, sind auch für die Entscheidung über die aus der verletzten Primärverpflichtung abgeleiteten Sekundäransprüche international zuständig. Das Revisionsgericht kann die Sache direkt an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre.

BGH 16.10.2015, V ZR 120/14
Der Sachverhalt:
Mit notariellem Vertrag vom 15.12.2010 kaufte der in Deutschland ansässige Kläger von den in Dänemark ansässigen Beklagten ein Hausgrundstück in Schleswig-Holstein für 114.000 € unter Ausschluss einer Haftung für Sachmängel. Im Juli 2011 erfuhr er von einem Nachbarn, dass dieser sich im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit dem verstorbenen Vater der Beklagten auf die Erlaubnis, an das Haus auf dem Grundstück des Klägers anzubauen und auf einen Ausgleich i.H.v. 10.000 € geeinigt habe, wovon die Beklagten gewusst hätten.

Er sieht sich von ihnen arglistig getäuscht und verlangt Ersatz für Aufwendungen und Nachteile, die ihm als Folge des Anbaus entstanden seien (Kostenermittlung rd. 500 €, Renovierungskosten rd. 19.000 €, Mietausfall rd. 24.000 €, Kosten für den Hinzuerwerb einer Fläche von 1 m² für 250 €). Davon verlangt er Zahlung eines erstrangigen Teilbetrags von rd. 19.500 € nebst Zinsen sowie Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung der Beklagten, ihm alle weiteren Aufwendungen "von der Hand zu halten, hilfsweise zu erstatten", die ihm aus dem Anbau entstehen.

Das LG wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig ab. Die Berufung des Klägers wies das OLG durch Beschluss zurück. Auf die Revision des Klägers hob der BGH die Entscheidungen von LG und OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt sich vorliegend noch nach den Bestimmungen der bisherigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO alt). Die deutschen Gerichte sind für den geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz wegen Sachmängeln aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a EuGVVO alt international zuständig.

Diese Vorschrift begründet zwar nach der Rechtsprechung des EuGH keinen einheitlichen Gerichtsstand für alle Verpflichtungen aus einem Vertrag etwa an dem Ort, an dem die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen wäre. In Abhängigkeit von den Orten, an denen sie zu erfüllen sind, können sich danach unterschiedliche Gerichtsstände für die einzelnen Primärverpflichtungen ergeben. Das bedeutet aber nicht, dass auch für die Primärverpflichtung und die aus ihrer Verletzung abgeleiteten Sekundärverpflichtungen unterschiedliche Gerichtsstände bestünden. Vielmehr bestimmt sich der Gerichtsstand solcher Ansprüche nicht danach, wo diese selbst zu erfüllen wären, sondern danach, wo der Primäranspruch, an den sie anknüpfen, zu erfüllen war oder erfüllt wurde.

Diese Rechtsprechung ist zwar zu dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Übereinkommen und dem Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ergangen. Der EuGH hat aber entschieden, dass die hier noch anzuwendende bisherige Verordnung Nr. 44/2001 genauso auszulegen ist, ausgenommen nur den hier nicht gegebenen Fall, dass der Verordnungsgeber bewusst von dem Übereinkommen abgewichen ist. Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz wegen Sachmängeln ist deshalb der Erfüllungsort der Primärleistung des Verkäufers - der Verpflichtung zur Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem verkauften Grundstück - maßgeblich. Dieser bestimmt sich gem. Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c VO (EG) Nr. 593/2008 (sog. ROM I Verordnung) bei Grundstückskaufverträgen nach dem Belegenheitsstatut, hier also nach deutschem Recht. Danach liegt der Erfüllungsort in Deutschland.

Auch für den weiter geltend gemachten, materiell-rechtlich konkurrierenden Anspruch des Klägers aus der Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten ist ein Gerichtsstand in Deutschland gegeben. Es liegt nicht fern anzunehmen, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts der Primärleistung maßgeblich ist, auf die sich die verletzte vorvertragliche Pflicht bezieht, wenn - wie hier - der Vertrag tatsächlich zustande kommt und der Vertragspartner in Anspruch genommen wird.

Der Beschluss des OLG war nach alldem aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung nicht an das OLG sondern an das LG zurückzuverweisen. Eine solche Möglichkeit hat der BGH bislang für den Fall anerkannt, dass das Berufungsgericht auf Grund der neuen Verhandlung die Sache an das LG zurückverweisen müsste. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zurückverweisung besteht nach geltendem Recht zwar nicht mehr. Die Zurückverweisung stünde nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts. Das Revisionsgericht kann die Sache aber unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre. So liegt es hier.

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