12.10.2015

Zur Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist durch den Rechtsanwalt bei Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation

Ein Rechtsanwalt muss grundsätzlich den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Unter Umständen muss er dazu auch veranlassen, ihm die Handakten vorzulegen.

BGH 15.9.2015, VI ZB 37/14
Der Sachverhalt:
Dem Kläger wurde das Urteil des LG am 28.10.2013 zugestellt. Gegen dieses Urteil legte er am 28.11.2013 Berufung ein. Die Meldung der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite wurde ihm am 16.1.2014 zugestellt und der Hinweis des OLG vom 13.1.2014, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung vorgelegt worden sei, am 17.1.2014. Mit Schriftsatz vom 23.1.2014 beantragte er am 24.1.2014, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Am 28.1.2014 ging der Schriftsatz vom 25.1.2014 mit der Berufungsbegründung und einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim OLG ein.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages macht der Kläger geltend, die Berufungsbegründungsfrist sei ohne ein ihm zurechenbares Verschulden seines in L (Österreich) ansässigen, aber auch in Deutschland zugelassenen Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Wie bei Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten bei ihm üblich, habe sein Prozessbevollmächtigter die Fristeintragung persönlich veranlasst und im Terminkalender eingetragen. Anlässlich der Postbesprechung in seiner Kanzlei am 30.10.2013 habe er die Frist für die Berufungseinlegung für den 28.11.2013 im Kalender eingetragen.

Die Frist zur Berufungsbegründung sei ebenfalls zutreffend berechnet worden. Ihm sei aber der Fehler unterlaufen, diese Frist nicht für den 28.12.2013, sondern erst für den 28.1.2014 im Terminkalender einzutragen. Der Grund hierfür liege darin, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Kurz vor der Postbesprechung habe er in einem Telefonat mit seiner Frau erfahren, dass sein Sohn kurz zuvor einen Epileptischen Anfall erlitten habe, der nur mit einem Notfallmedikament habe gestoppt werden können; die Zukunftsperspektive des Sohnes sei sehr negativ.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil er sich ein eigenes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Das OLG hat ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten zutreffend darin gesehen, dass er bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauftrags nach dem 30.10.2013, also nachdem die Störung der Aufmerksamkeit geendet hatte, nicht mehr geprüft hat, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist.

Der Rechtsanwalt muss die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache nachprüfen, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den Grundsätzen, die zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelt wurden, hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist. Sie erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist.

Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsschrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist.

Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Fertigung der am 28.11.2013 bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift kontrolliert, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, hätte er bemerken können, dass ihm am 30.10.2013 insoweit ein Fehler unterlaufen ist und die fehlerhafte Notierung der Frist auf den 28.1.2014 im Terminkalender korrigieren können. Soweit sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und mit der Rechtsbeschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass ihm bei Fertigung der Berufungsschrift eine Handakte nicht und vielmehr erst aufgrund der auf den 21.1.2014 notierten Vorfrist - auch mit den bereits am 16.12.2013 in seiner Kanzlei eingetroffenen Unterlagen - vorgelegt wurde, läge bereits insoweit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück