06.02.2015

Zur Prüfung des Fristendes durch den Rechtsanwalt bei Vorlage der Berufungsschrift zur Unterschrift

Der Rechtsanwalt hat selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Akte nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird.

BGH 13.1.2015, VI ZB 46/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1.4.2014 zugestellt. Hiergegen legte der Kläger mit Telefax vom 5.5.2014 Berufung ein und begründete diese. Der Beklagte wies mit Schriftsatz vom 15.5.2014 darauf hin, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Der Kläger beantragte daraufhin mit Telefax vom 26.5.2014, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, hilfsweise auch gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren.

Der Kläger macht geltend, sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der Berufungsschrift am 22.4.2014 diktiert und eine Abschrift an ihn, die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung sowie die Wiedervorlage zur Einlegung der Berufung für den 2.5.2014 verfügt. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Wiedervorlagefrist weisungswidrig nicht notiert. Die Deckungszusage sei am 2.5.2014 eingegangen und dem Prozessbevollmächtigten am 5.5.2014 gemeinsam mit der Handakte und einer Ausfertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden. Dieser habe die Berufungsschrift umgehend unterzeichnet und den Versand per Telefax an das Berufungsgericht veranlasst. Kenntnis von der Fristversäumnis habe er erst am 20.5.2014 erlangt, als ihm der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 15.5.2014 zugegangen sei.

Das OLG verwarf die Berufung und den Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen, als unzulässig. Der Wiedereinsetzungsantrag sei nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist gestellt worden. Die Frist habe am 5.5.2014 zu laufen begonnen, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers an diesem Tag die Versäumung der Frist hätte bemerken müssen. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gestellt wurde.

Nach § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen zu beantragen. Diese Frist beginnt, sobald das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist.

Vorliegend bestand das Hindernis darin, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Einlegung der Berufung den Ablauf der Berufungsfrist nicht bemerkt hatte. Dieses Hindernis entfiel nicht erst mit dem Eingang des Hinweises des Beklagten auf den Fristablauf am 20.5.2014, sondern schon in dem Moment, in dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Versäumung der Berufungsfrist hätte bemerken müssen - also am 5.5.2014, als ihm die Sache zur Unterzeichnung der Berufungsschrift vorgelegt wurde.

Nach der gefestigten BGH-Rechtsprechung hat der Rechtsanwalt selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat.

Die Pflicht, den Fristablauf selbständig zu prüfen, besteht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch dann, wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird. Denn die Bearbeitung ist erst dann abgeschlossen, wenn der fristgebundene Schriftsatz vom Rechtsanwalt unterzeichnet und zur Weiterleitung an das Gericht freigegeben worden ist.

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