01.07.2011

Zur vorgezogenen Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden

Eine vorgezogene Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden ist zwar nicht bei jeder Geburt erforderlich. Sie ist aber immer dann erforderlich, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen, dass sich der Geburtsvorgang in Richtung auf eine solche Entscheidungssituation entwickeln kann, in der die Schnittentbindung notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird.

BGH 17.5.2011, VI ZR 69/10
Der Sachverhalt:
Die Mutter des Klägers war im November 2002 nach der 39. Schwangerschaftswoche stationär zur Entbindung in das Krankenhaus aufgenommen worden, in dem die Beklagte als Belegärztin tätig war. Während der nur langsam fortschreitenden Geburt bat die Mutter des Klägers die Beklagte um die Durchführung einer Schnittentbindung, was die Beklagte zunächst ablehnte.

Nach dem Einleiten der Geburt versuchte die Beklagte, den Kläger mittels Saugglocke zu entbinden. Nachdem ihr der Versuch zum zweiten Mal misslungen war, führte sie schließlich eine Notsectio durch. Infolgedessen kam der Kläger um 17.57 Uhr mit einer schweren metabolischen Azidose zur Welt und musste reanimiert werden. Der neonatologische Abholdienst, der nicht zeitgleich mit dem Entschluss zur Notsectio alarmiert worden war, übernahm die Versorgung des Klägers erst gegen 18.40 Uhr. Der Kläger ist seit der Geburt schwerstgeschädigt.

LG und OLG wiesen die Klage auf Schadensersatz ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hatte rechtsfehlerhaft eine Pflicht zur Aufklärung über die Alternative einer Schnittentbindung verneint.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Das Recht jeder Frau, bei der Wahl zwischen vaginaler Entbindung, ggf. mit Vakuum-Extraktion, und Schnittentbindung selbst bestimmen zu dürfen, muss möglichst dabei umfassend gewährleistet werden. Andererseits soll die werdende Mutter während des Geburtsvorgangs aber auch nicht ohne Grund mit Hinweisen über die unterschiedlichen Gefahren und Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden belastet werden.

Eine vorgezogene Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden ist deshalb nicht bei jeder Geburt erforderlich und auch dann noch nicht, wenn nur die theoretische Möglichkeit besteht, dass im weiteren Verlauf Probleme auftreten könnten. Sie ist aber immer dann erforderlich und muss dann bereits zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden, zu dem die Patientin sich noch in einem Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden kann, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen, dass sich der Geburtsvorgang in Richtung auf eine solche Entscheidungssituation entwickeln kann, in der die Schnittentbindung notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird. Das ist etwa der Fall, wenn sich bei einer Risikogeburt konkret abzeichnet, dass sich die Risiken in Richtung auf die Notwendigkeit oder die relative Indikation einer Schnittentbindung entwickeln können.

Nach diesen Grundsätzen hätte die Beklagte die Mutter des Klägers gut zwei Stunden früher über die alternative Möglichkeit einer Sectio aufklären müssen. Das Berufungsgericht hatte hier zu hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer Aufklärungspflicht über eine alternative Schnittentbindung gestellt, soweit es meinte, diese sei nur bei einer zwingenden Indikation erforderlich gewesen, die der Sachverständige verneint habe.

Linkhinweis:

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