14.11.2017

ALG: Übernahme nur angemessener Miet- und Heizkosten ist verfassungsgemäß

Das Sozialgesetzbuch begrenzt die Erstattung der Miet- und Heizkosten auf angemessene Aufwendungen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber muss keinen Anspruch auf unbegrenzte Kostenübernahme gewährleisten. Die entsprechende Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist zudem auch klar und verständlich. Der Gesetzgeber ist damit seiner Verpflichtung, einen konkreten gesetzlichen Leistungsanspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen, ausreichend nachgekommen.

BVerfG 6.10.2017 u.10.10.2017, 1 BvR 617/14, 1 BvL 2/15 u. 1 BvL 5/15
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnt alleine eine 77 qm große Dreizimmerwohnung, für die das Jobcenter zunächst die Miet- und Heizkosten vollständig und ab 2008 teilweise übernahm. Die Klage der Beschwerdeführerin auf vollständige Kostenübernahme wies das Sozialgericht ab. Auch die Berufung und Revision blieben erfolglos.

Schließlich erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und gab an, in ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu den Miet- und Heizkosten genüge nicht den vom BVerfG entwickelten Vorgaben zur Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

Zudem legte des SG Mainz dem BVerfG zwei Verfahren vor, weil es die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für verfassungswidrig hielt.

Die Verfassungsbeschwerde und die Vorlagen blieben erfolglos.

Die Gründe:
Die erhobenen Rügen einer Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sind nicht berechtigt. Die Regelung genügt der Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.

Durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG wird das menschenwürdige Existenzminimum gesichert. Dazu gehört auch die Sicherung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung. Das Grundgesetz gibt aber keinen genau bezifferten Anspruch auf die Höhe der Sozialleistungen vor. Die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums muss aber durch ein Gesetz gesichert sein, das einen konkreten Leistungsanspruch enthält. Diesen Anforderungen genügt die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II jedoch. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass das Gesetz keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Miet- und Heizkosten enthält. Aus dem grundlegenden wichtigen Bedarf daran ergibt sich nicht, dass jede Unterkunft im Bedürftigkeitsfall zu finanzieren ist und die Kosten unbegrenzt zu erstatten wären.

Der Gesetzgeber durfte sich des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit bedienen, um die Kostenübernahme einzugrenzen. Dies geht auch nicht zu Lasten der hinreichenden Bestimmbarkeit, denn das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit lässt sich durch Auslegung hinreichend konkretisieren. Aus § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II folgt, dass für die Angemessenheit die Einzelfallumstände maßgeblich sind. Welche Kosten konkret angemessen sind und übernommen werden müssen, kann nach Auffassung der Fachgerichte anhand der im unteren Preissegment für vergleichbare Wohnungen am Wohnort der Leistungsberechtigten marktüblichen Wohnungsmieten ermittelt werden.

Die Vorlagen des Sozialgerichts Mainz sind unzulässig. Es fehlt an einer hinreichenden Darlegung des Gerichts, dass und wie die Anspruchsgrundlage ausgelegt werden kann, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen.

Linkhinweise:
Für den auf den Webseiten des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten Volltext der Entscheidung (v. 10.10.2017, 1 BvR 617/14) klicken Sie bitte hier.

Für die ebenfalls dort veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

Bundesverfassungsgericht PM Nr. 96/2017 vom 14.11.2017
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