28.11.2019

Arbeitgebereigenschaft bei international Beschäftigten hängt u.a. von tatsächlicher Weisungsbefugnis ab

Der Arbeitgeber von abhängig beschäftigten Lastkraftwagenfahrern im internationalen Straßentransport ist das Transportunternehmen, das sie auf unbestimmte Zeit eingestellt hat, eine tatsächliche Weisungsbefugnis ausübt und faktisch die Gehaltskosten zu tragen hat. Der im Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers formal eingetragene Arbeitgeber ist dagegen nur ein Indiz für die tatsächliche Arbeitgebereigenschaft.

EuGH v. 26.11.2019 - C-610/18
Der Sachverhalt:
Eine in Zypern gegründete Gesellschaft schloss Verträge mit Transportunternehmen und Fahrern, die in den Niederlanden ansässig sind. Zwischen dieser Gesellschaft und den Fahrern einerseits und dem niederländischen Verwaltungsrat der Sozialversicherungsanstalt (RSVB) besteht ein Rechtsstreit wegen der Entscheidung des RSVB, wonach auf diese Fahrer nicht die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften Zyperns, sondern die der Niederlande anwendbar seien.

Das von der Gesellschaft inzwischen angerufene Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes der Niederlande, bei dem das Verfahren gegenwärtig anhängig ist, wandte sich an den EuGH. Er war der Auffassung, dass die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. von der Auslegung der Unionsvorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit abhänge. Insbesondere bat er den EuGH zur Erläuterung der Frage, wer "Arbeitgeber" der Fahrer sei, die in den Niederlanden ansässigen Transportunternehmen oder die zypriotische Gesellschaft.

Die Gründe:
Arbeitgeber der Lastkraftwagenfahrer sind die ansässigen Transportunternehmen.

Das Ziel des einheitlichen und vollständigen Systems von Vorschriften zur Koordinierung der Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten ist, die Arbeitnehmer, die innerhalb der Union zu- und abwandern, dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats zu unterstellen. Anknüpfungspunkt für die Einordnung eines Arbeitnehmers in ein Sozialsystem ist grundsätzlich der Sitz des Arbeitgebers. Der Begriff "Arbeitgeber" ist jedoch nicht unionsrechtlich definiert. Zur Ermittlung der Bedeutung dieses Begriffs verweist die EU-Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherheit auch nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedsstaaten.

Die Vertragsbeziehung, nach der die zypriotische Gesellschaft formal betrachtet Arbeitgeber wäre, liefert lediglich einen Anhaltspunkt für die Arbeitgebereigenschaft. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Fahrer im streitgegenständlichen Zeitraum ausschließlich auf Rechnung und Risiko von Transportunternehmen fuhren, die in den Niederlanden ansässig waren. Zwar zahlte das Gehalt unmittelbar die zypriotische Gesellschaft, welches jedoch von den niederländischen Transportunternehmen finanziert wurde.

Als Arbeitgeber von Lastkraftwagenfahrern im internationalen Straßentransport sei folglich das Transportunternehmen anzusehen, das den Betreffenden eingestellt habe, dem der Betreffende tatsächlich auf unbestimmte Zeit uneingeschränkt zur Verfügung stehe, das eine tatsächliche Weisungsbefugnis gegenüber dem Betreffenden ausübe und das faktisch die Gehaltskosten zu tragen habe, vorbehaltlich der tatsächlichen Überprüfungen, die das vorlegende Gericht vorzunehmen habe.

Die Ermächtigung als Arbeitgeber der Fahrer durch die Gesellschaft könnte zudem rechtsmissbräuchlich gewesen sein. Die Vertragspartner der Gesellschaft hatten die tatsächliche Kontrolle über die Arbeitnehmer, was normalerweise unter die Befugnisse des Arbeitgebers fällt. Die Niederlassung auf Zypern führte zu einer Verschlechterung des Sozialversicherungsschutzes der Fahrer, während die früheren Arbeitgeber daraus offenbar Vorteile bei den Gehaltskosten zogen. Damit liegt ein Rechtsmissbrauch vor, der es der zypriotischen Gesellschaft verbietet, sich auf ihre angebliche Arbeitgebereigenschaft zu berufen und zu beantragen, die zypriotischen Rechtsvorschriften für auf die betreffenden Fahrer anwendbar zu erklären.
EuGH PM Nr. 146/2019 vom 26.11.2019
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