09.07.2013

Behinderte Arbeitnehmer: EU-Mitgliedstaaten müssen alle Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen verpflichten

Die Mitgliedstaaten müssen alle Arbeitgeber verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen. Dies betrifft etwa Regelungen zur Arbeitsplatzgestaltung, zum Arbeitsrhythmus oder zur Aufgabenverteilung. Nicht ausreichend sind insoweit Regelungen, die behinderten Menschen keine unmittelbare gerichtliche Geltendmachung ihrer Rechte erlauben.

EuGH 4.7.2013, C-312/11
Der Sachverhalt:
Die Kommission war der Auffassung, dass Italien hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Behinderung gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Gleichbehandlungsrichtlinie) verstoßen hat. Sie erhob deshalb eine Vertragsverletzungsklage.

Die Gleichbehandlungsrichtlinie verpflichtet Arbeitgeber, die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Menschen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten.

Zur Begründung der Klage machte die Kommission geltend, Italien habe die in der Richtlinie für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen im Bereich der Beschäftigung vorgesehenen Garantien und Vorkehrungen unzureichend umgesetzt. Darüber hinaus habe Italien Menschen mit Behinderungen keine Rechte eingeräumt, die sie unmittelbar gerichtlich geltend machen könnten. Der EuGH gab der Vertragsverletzungsklage statt.

Die Gründe:
Italien hat keine hinreichenden Regelungen getroffen, um Arbeitgeber zu verpflichten, wirksame Maßnahme zum Schutz von behinderten Menschen zu ergreifen.

Der Begriff "Behinderung" in der Gleichbehandlungsrichtlinie ist unter Heranziehung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen so zu verstehen, dass er eine insbesondere auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführende Einschränkung erfasst, die den Betroffenen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den übrigen Arbeitnehmern, hindern kann.

Das Übereinkommen enthält eine weite Definition des Begriffs "angemessene Vorkehrungen". Der EuGH hat zudem bereits entschieden, dass dieser Begriff die Beseitigung der Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern.

Nach diesen Grundsätzen müssen die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung der Arbeitgeber vorsehen, unter Berücksichtigung jedes Einzelfalls wirksame und praktikable Maßnahmen zu ergreifen (z.B. Gestaltung der Räumlichkeiten, Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus oder der Aufgabenverteilung), um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, ohne jedoch den Arbeitgeber unverhältnismäßig zu belasten.

Diese Verpflichtung trifft alle Arbeitgeber. Es genügt zudem nicht, dass die Mitgliedstaaten Anreiz- und Hilfemaßnahmen erlassen; sie müssen auch alle Arbeitgeber dazu verpflichten, die im konkreten Fall jeweils erforderlichen wirksamen und praktikablen Maßnahmen zu ergreifen, und den behinderten Menschen eine gerichtliche Durchsetzbarkeit ihrer Rechte ermöglichen.

EuGH PM Nr. 82 vom 4.7.2013
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