18.11.2013

Bei Wutausbruch selbst verletzt: Arbeitnehmer hat trotzdem Anspruch auf Entgeltfortzahlung

Ein Arbeitnehmer hat auch dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn er sich bei einem Wutanfall im Betrieb selbst verletzt. Die Entgeltfortzahlung scheidet zwar grds. aus, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat. Verschuldet in diesem Sinn meint aber nur besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer in einem heftigen Wut- und Erregungszustand kurzzeitig die Kontrolle über sich verliert.

Hessisches LAG 23.7.2013, 4 Sa 617/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist bei dem beklagten Baumarkt als Warenauffüller beschäftigt. Er hatte den Gabelstapler, den er für seine Arbeit benutzt, mit einem Plexiglasdach versehen, um vor Regen geschützt zu sein. Als der Sicherheitsbeauftragte des Betriebs ihn anwies, das Dach wieder abzubauen, wurde er so wütend, dass er dreimal mit seiner Faust auf ein in der Nähe aufgestelltes Verkaufsschild schlug. Dieses war auf einer Holzstrebe montiert, die der Kläger mehrfach traf. Dabei brach er sich die Hand.

In den folgenden sechs Wochen war der Kläger wegen der gebrochenen Hand arbeitsunfähig. Der Beklagte weigerte sich, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, weil der Kläger an seiner Verletzung selbst schuld sei. Spätestens nach dem ersten Schlag auf das Verkaufsschild habe er die Holzstrebe spüren müssen. Dennoch habe er voller Wut weiter auf das Verkaufsschild eingeschlagen. Die Verletzung habe er sich somit vorsätzlich beigebracht.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG Erfolg.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Zwar schließt § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch aus, wenn den Arbeitnehmer an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit "ein Verschulden" trifft. Der Verschuldensbegriff im Entgeltfortzahlungsrecht entspricht aber nicht dem allgemeinen zivilrechtlichen Verschuldensbegriff, der auch mittlere und leichte Fahrlässigkeit umfasst. Er erfordert vielmehr einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen. Dies setzt ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seine Verletzung bewusst herbeigeführt hat. Er hätte zwar bei verständiger Betrachtung damit rechnen müssen, dass er durch die Schläge auf das Schild eine Verletzung riskiert, und hat daher fahrlässig gehandelt. Gegen eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers spricht jedoch, dass er aus Wut und Erregung kurzzeitig die Kontrolle über sein Handeln verloren hat. Dies war sicher leichtfertig, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein kann.

Hessisches LAG Niedersachsen PM Nr. 10/13 vom 18.11.2013
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