06.08.2014

Bezahlte Freistellung zur Pflege eines erkrankten Kindes - Auslegung des TVöD

Nicht gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes können nach dem Wortlaut des TVöD zwar nur bis zu vier Arbeitstage im Jahr eine bezahlte Freistellung von der Arbeit für die Pflege eines erkrankten Kindes verlangen, sofern die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Ihnen steht aber - bis zur Maximaldauer von fünf Arbeitstagen pro Jahr - eine weitere bezahlte Freistellung zu, wenn im selben Jahr ein anderes Kind erkrankt.

BAG 5.8.2014, 9 AZR 878/12
+++ Der Sachverhalt:
Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist der TVöD anwendbar. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 e) bb) TVöD kann u.a. bei schwerer Erkrankung eines Kindes ein Anspruch auf bezahlte Freistellung für bis zu vier Arbeitstage im Jahr bestehen. § 29 Abs. 1 Satz 3 TVöD regelt, dass die Freistellungen insgesamt fünf Arbeitstage im Kalenderjahr nicht überschreiten dürfen.

2010 erkrankte zunächst der unter zwölfjährige Sohn der Klägerin, woraufhin die Beklagte die Klägerin an vier Arbeitstagen unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeit freistellte. Im Mai 2010 erkrankte dann die ebenfalls noch keine zwölf Jahre alte Tochter der Klägerin. Die Beklagte stellte die Klägerin zwar wiederum an vier Arbeitstagen von der Arbeit frei, verweigerte aber die beantragte Bezahlung für einen Freistellungstag.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, dass der TVöD die Dauer der bezahlten Freistellung nicht auf vier Arbeitstage im Kalenderjahr beschränke, wenn derselbe Befreiungstatbestand mehrfach verwirklicht werde. Vielmehr folge aus § 29 Abs. 1 Satz 3 TVöD-AT, dass die Höchstgrenze für die Dauer bezahlter Freistellung bei fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr liege. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob das BAG die Vorentscheidungen auf und gab der Klage statt.

+++ Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für einen weiteren Arbeitstag.

Ein im Geltungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) nicht gesetzlich krankenversicherter Beschäftigter hat nach § 29 Abs. 1 Satz 1 e) bb) i.V.m. Satz 2 TVöD Anspruch, bis zu vier Arbeitstage unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeit freigestellt zu werden, wenn

  • ein Kind unter zwölf Jahren schwer erkrankt,
  • eine andere Person zur Pflege oder Betreuung nicht sofort zur Verfügung steht und
  • die Notwendigkeit der Anwesenheit des Beschäftigten zur vorläufigen Pflege ärztlich bescheinigt wird.

Erkrankt ein anderes Kind des Beschäftigten schwer und sind die übrigen tariflichen Voraussetzungen erfüllt, steht dem Beschäftigten eine weitere bezahlte Freistellung von der Arbeit zu, wenn die in § 29 Abs. 1 Satz 3 TVöD festgesetzte Freistellungsobergrenze von insgesamt fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr nicht überschritten wird.

Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin noch die Vergütung für einen Freistellungstag im Mai 2010 i.H.v. 165,21 Euro brutto zu.

+++ Der Hintergrund:
§ 45 SGB V räumt einem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung ein, wenn er sich um sein erkranktes Kind kümmern muss. Ob der Arbeitnehmer einen - ggü. Krankengeld vorrangigen - Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung hat, ist getrennt hiervon zu prüfen. Ein Anspruch kann sich aus dem Arbeitsvertrag, aus einer Betriebsvereinbarung oder aus einem Tarifvertrag ergeben. Als weitere Anspruchsgrundlage kommt § 616 BGB in Betracht, der allerdings arbeitsvertraglich abbedungen werden kann (Kleinebrink, ArbRB 2006, 303 ff., ArbRB online).

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 40/14 vom 6.8.2014
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