31.05.2016

EuGH-Schlussantrag: Arbeitgeber können unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen eines islamischen Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten

Die EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott hat in ihrem Schlussantrag die Auffassung vertreten, dass Arbeitgeber grds. das Tragen eines islamischen Kopftuchs am Arbeitsplatz untersagen können, wenn in dem Unternehmen das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen allgemein verboten ist. Arbeitgeber könnten mit einem solchen allgemeinen Bekenntnisverbot das legitime Ziel der religiösen und weltanschaulichen Neutralität verfolgen.

EuGH-Generalanwalt 31.5.2016, C-157/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine Muslimin, ist seit drei Jahren als Rezeptionistin bei einer belgischen Firma beschäftigt, die überwiegend Bewachungs- und Sicherheitsdienste, aber auch Rezeptionsdienstleistungen erbringt. Nach dreijähriger Tätigkeit für das Unternehmen wollte sie künftig mit einem islamischen Kopftuch zur Arbeit erscheinen. Als sie hiervon nicht ablassen wollte, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis, weil das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen im Unternehmen verboten sei.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund ihrer Religion. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage abgewiesen hatten, setzte der belgische Kassationshof das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um Konkretisierung des unionsrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung aus der Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2000/78/EG).

Der Schlussantrag der Generalanwältin:
Die Generalanwältin Juliane Kokott hat in ihrem Schlussantrag die Auffassung vertreten, dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegt. Eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion scheide aus, weil in dem Unternehmen das Tragen sichtbarer politischer, philosophischer und religiöser Zeichen am Arbeitsplatz allgemein verboten sei. Das Verbot beruhe damit nicht auf Vorurteilen gegenüber einer bestimmten Religion oder gegenüber religiösen Überzeugungen im Allgemeinen. Daher liege keine weniger günstige Behandlung wegen der Religion vor.

Darüber hinaus könne das Kopftuchverbot zwar eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Diese sei jedoch gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber mit dem allgemeinen Verbot des Tragens sichtbarer politischer, philosophischer und religiöser Zeichen am Arbeitsplatz eine Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität verfolge und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachte. Dies sei hier der Fall. Das im Streitfall bestehende Verbot sei geeignet und erforderlich, das von dem Unternehmen verfolgte legitime Ziel der religiösen und weltanschaulichen Neutralität zu erreichen. Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn sei gewahrt.

Zwar sei die Religion für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Identität. Während ein Arbeitnehmer aber z.B. sein Geschlecht oder seine Hautfarbe nicht "an der Garderobe abgeben" könne, sobald er die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers betrete, könne ihm bezüglich seiner Religionsausübung am Arbeitsplatz eine gewisse Zurückhaltung zugemutet werden, sei es hinsichtlich religiöser Praktiken, religiös motivierter Verhaltensweisen oder - wie hier - hinsichtlich seiner Bekleidung. Das Maß an Zurückhaltung, das einem Arbeitnehmer abverlangt werden könne, sei von einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls abhängig.

Der Hintergrund:
Der Schlussantrag eines EuGH-Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend; in den meisten Fällen folgt der EuGH allerdings dem Schlussantrag.

Linkhinweis:
Der Volltext des Schlussantrags ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 54/16 vom 31.5.2016
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