06.03.2014

Gerichte dürfen gegen die Gleichbehandlungs-RL verstoßende nationale Regelungen nicht anwenden

Die Bestimmungen der Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen (RL 2006/54/EG) entfalten unmittelbare Wirkung. Daher sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die volle Wirksamkeit der Richtlinie dadurch zu gewährleisten, dass sie ggf. jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen. Das hat der EuGH im Hinblick auf eine italienische Regelung entschieden, wonach der (zwingende) Mutterschaftsurlaub automatisch zum Ausschluss von einem Ausbildungskurs führt.

EuGH 6.3.2014, C-595/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist bei der italienischen Justizvollzugspolizei beschäftigt. Sie hatte sich mit Erfolg um die Teilnahme an einem Ausbildungskurs für Vizekommissare beworben. Zehn Tage nach Beginn des Kurses bekam die Klägerin ein Kind und befand sich in den kommenden drei Monaten im obligatorischen Mutterschaftsurlaub. Das italienische Recht sieht für einen solchen Fall vor, dass die Arbeitnehmerin von dem betreffenden Kurs ausgeschlossen und zum nächsten veranstalteten Kurs zugelassen wird.

Auf die gegen den Ausschluss gerichtete Klage setzte das hiermit befasste italienische Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die streitige Regelung gegen die Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen verstößt. Der EuGH bejahte dies.

Die Gründe:
Die streitige Regelung verstößt gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie. Diese verbietet eine ungünstigere Behandlung vor Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub. Darüber hinaus gewährt sie Frauen im Mutterschaftsurlaub nicht nur einen Anspruch darauf, an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren, sondern auch darauf, dass ihr alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätte, zugutekommen.

Nach diesen Grundsätzen benachteiligt die italienische Regelung Frauen in der Situation der Klägerin. Denn sie verhindert zumindest, dass diese genauso schnell wie vergleichbare männliche Kollegen in einen höheren Dienstgrad mit einer entsprechend höheren Vergütung aufsteigen - zumal ungewiss ist, wann der nächste Kurs stattfinden wird.

Die zuständigen Behörden könnten dem Gebot der Gleichbehandlung z.B. in der Form Rechnung tragen, dass sie für Arbeitnehmerinnen, die aus dem Mutterschaftsurlaub zurückkehren, parallele gleichwertige Nachschulungskurse anbieten, damit sie rechtzeitig zur Prüfung zugelassen werden und so schnell wie möglich in einen höheren Dienstgrad aufsteigen können.

Die Bestimmungen der Richtlinie sind auch hinreichend klar, genau und unbedingt, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können. Daher sind die nationalen Gerichte verpflichtet, deren volle Wirksamkeit dadurch zu gewährleisten, dass sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Bestimmung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen.

EuGH PM Nr. 30 vom 6.3.2014
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