22.01.2015

Leiharbeitnehmer-Einsatz darf inhaltlich und zeitlich beschränkt werden

Die Leiharbeitsrichtlinie verbietet zwar grds. Einschränkungen der Leiharbeit. Das gilt aber nicht für solche Einschränkungen, die aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein Tarifvertrag den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf vorübergehende Aufgaben beschränkt, die aus objektiven Gründen nicht durch die Stammbelegschaft des entleihenden Unternehmens ausgeführt werden können. Gleiches gilt für das Verbot, Leiharbeitnehmer über einen längeren Zeitraum mit Aufgaben zu betrauen, die auch der Stammbelegschaft obliegen.

EuGH-Generalanwalt 20.11.2014, C-533/13
+++ Der Sachverhalt:
Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine finnische Gewerkschaft der Transportarbeiter. Diese hatte mit einem Arbeitgeberverband einen Rahmentarifvertrag geschlossen, der u.a. folgende Regelungen enthielt:

"Unternehmen haben den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben zu beschränken, die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können.

Die Entleihung von Arbeitnehmern ist unlauter, wenn die von einem Leiharbeit in Anspruch nehmenden Unternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmer während eines längeren Zeitraums normale Arbeiten des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern und unter derselben Leitung ausführen."

Mit der Klage wandte sich die Gewerkschaft gegen die Verletzung dieser Tarifbestimmung durch den beklagten Arbeitgeber (Shell).

Das mit der Klage befasste finnische Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Tarifbestimmungen an Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 (Leiharbeitsrichtlinie) zu messen und hiermit zu vereinbaren sind. Der EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar hat in seinem Schlussantrag dem EuGH vorgeschlagen, diese Fragen zu bejahen.

+++ Die Gründe:
Die streitigen Tarifbestimmungen sind mit Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104 vereinbar. Nach dieser Vorschrift sind Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.

Diese Richtlinienvorschrift ist nach ihrem Wortlaut und ihrer Zielsetzung dahingehend auszulegen, dass sie nicht nur in Art. 4 Abs. 2 bis 5 prozessuale Pflichten enthält, sondern in Art. 4 Abs. 1 auch eine materielle Regelung. Diese materielle Regelung verbietet die Beibehaltung von Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit, wenn diese insbesondere unter Berücksichtigung der Harmonisierung der Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen nicht gerechtfertigt sind.

Eine Tarifvorschrift wie die vorliegende ist daher unmittelbar an Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104 zu messen. Die streitige Tarifnorm erfüllt auch die an die Einschränkung von Leiharbeit zu stellenden Anforderungen. Denn es entspricht dem Allgemeininteresse, wenn eine Regelung zum einen nur die vorübergehende Natur der Leiharbeit in konkrete Begriffe fasst und so vermeidet, dass diese Arbeitsform die direkte Beschäftigung ersetzt, und zum anderen die Einschränkungen ausreichend allgemein fasst, um die individuellen Merkmale unterschiedlicher entleihender Unternehmen zu berücksichtigen.

+++ Der Hintergrund:
Der Vorschlag des Generalanwalts ist für den EuGH nicht binden; meist folgt das Gericht aber dem Vorschlag.

Die Bundesregierung dürfte die Entscheidung des EuGH mit Spannung erwarten. Denn sie plant ausweislich des Koalitionsvertrags ebenfalls Einschränkungen der Leiharbeit, insbesondere eine Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate, hat das Gesetzgebungsverfahrens mit Blick auf die anstehende Grundsatzentscheidung aus Luxemburg aber noch nicht eingeleitet.

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

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