10.02.2015

Sexuelle Belästigung zieht nicht zwangsläufig eine fristlose Kündigung nach sich

Sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz (hier: Busengrabschen) stellen grundsätzlich Verletzungen vertraglicher Pflichten dar und sind "an sich" als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Beruht die Vertragspflichtverletzung allerdings auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen (Abmahnung) für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.

BAG 20.11.2014, 2 AZR 651/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Im Juli 2012 traf der Kläger in den Umkleideräumen der Beklagten auf die ihm bislang unbekannte externe Reinigungsfrau. Während er sich Hände und Gesicht wusch führten die beiden ein Gespräch. In dessen Verlauf sagte der Kläger zu der Frau, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Die Frau erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Daraufhin ließ der Kläger sofort von ihr ab und verließ den Raum.

Die Frau schilderte den Vorfall später ihrem Chef, der das Gespräch mit der Beklagten suchte. Am 31.7.2012 bat die Beklagte den Kläger zu sich. Dieser gestand sofort und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen. Doch noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

In der Folge entschuldigte sich der Kläger bei der Reinigungskraft und führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Die Frau nahm seine Entschuldigung an, das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Der Kläger reichte fristgerecht Kündigungsschutzklage ein. Er habe den Eindruck gehabt, die Frau habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen "Blackout" gekommen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Eine Abmahnung hätte aus seiner Sicht ausgereicht. Die Beklagte war hingegen der Ansicht, sie müsse das weibliche Personal vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger schützen. Außerdem sei dessen Entschuldigung lediglich unter dem Druck der Kündigung erfolgt.

Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage ab; das LAG gab ihr statt. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG erfolglos.

Die Gründe:
Die außerordentliche Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Schließlich fehlte es an einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB.

Zwar hatte der Kläger die Frau sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt. Und eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist somit "an sich" als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung jedoch im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG-Urt. v. 9.6.2011, Az.: 2 AZR 323/10).

Nach den Umständen des vorliegenden Falls hätte eine Abmahnung als Reaktion von Seiten der Beklagten ausgereicht. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.

Es lagen auch keine Umstände vor, die zur Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wog auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre. Das LAG hatte ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand. Es war vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sowie unwillig sei, sein Verhalten zu ändern und durfte eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen.

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