17.04.2013

Verpflichtende Sprachenregelung für Arbeitsverträge verstößt gegen Unionsrecht

Eine belgische Regelung, wonach alle Arbeitsverträge mit Arbeitgebern, die ihren Betriebssitz in Flandern haben, auf Niederländisch abzufassen sind, verstößt gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Das gilt jedenfalls im Hinblick auf Arbeitsverträge mit grenzüberschreitendem Charakter. Die Regelung ist unverhältnismäßig. Denn sie müsste zumindest eine Öffnungsklausel im Hinblick auf eine andere allen Vertragsparteien geläufige Sprache enthalten.

EuGH 16.4.2013, C-202/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist niederländischer Staatsbürger mit Wohnsitz in den Niederlanden. Er schloss 2004 einen Arbeitsvertrag mit einer in Antwerpen ansässigen Gesellschaft ab, die zu einem multinationalen Konzern mit Sitz in Singapur gehörte. Der in englischer Sprache abgefasste Arbeitsvertrag sah vor, dass der Kläger seine Arbeitsleistung in Belgien erbringt.

2009 kündigte die Gesellschaft das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger und zahlte ihm eine nach dem Arbeitsvertrag berechnete Kündigungsabfindung.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage begehrte der Kläger die höhere gesetzliche Abfindung. Zur Begründung machte er geltend, dass der Arbeitsvertrag nichtig sei, da er entgegen einer für Flandern geltenden Regelung nicht auf Niederländisch abgefasst worden sei. Ein Verstoß hiergegen führe zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrags, die nach dem Gesetz für den Arbeitnehmer allerdings keine Nachteile haben dürfe.

Das mit der Sache befasste belgische Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Sprachenregelung gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU verstößt. Der EuGH bejahte dies.

Die Gründe:
Das beanstandete Dekret der Flämischen Gemeinschaft, wonach jeder Arbeitgeber mit Betriebssitz in Flandern verpflichtet ist, alle Arbeitsverträge mit grenzüberschreitendem Charakter unter Androhung der Nichtigkeit ausschließlich in niederländischer Sprache abzufassen, ist mit dem Unionsrecht unvereinbar. Es verstößt gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU. Auf diesen Grundsatz können sich nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber berufen.

Die Sprachenregelung kann im Hinblick auf grenzüberschreitende Arbeitsverträge eine abschreckende Wirkung auf nicht niederländischsprachige Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben. Sie stellt daher einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.

Diese Beschränkung ist nicht gerechtfertigt. Sie dient zwar legitimen Zielen. So soll hiermit die in Flandern geltende Amtssprache geschützt und gefördert werden. Des Weiteren dient die Regelung dem Schutz von Arbeitnehmern: Diese sollen einerseits sozialversicherungsrelevante Dokumente in ihrer Muttersprache zur Kenntnis nehmen und andererseits so wirksamer durch Arbeitnehmervertretungen und nationale Behörden geschützt werden können.

Die Regelung ist aber zur Erreichung der Ziele nicht erforderlich. Zumindest wenn die Parteien eines Arbeitsvertrags mit grenzüberschreitendem Charakter kein Niederländisch beherrschen, müssen sie, um sich frei einigen zu können, den Vertrag auch in einer anderen Sprache als der Amtssprache des Mitgliedstaats schließen können. Die mit der Regelung verfolgten Ziele sind zudem auch erreichbar, wenn die niederländische oder eine andere allen Vertragsparteien geläufige Sprache zugelassen würde.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 46 vom 16.4.2013
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