16.04.2021

Zur finanziellen Abgeltung für nicht genommenen Urlaub

Generalanwalt Hogan hat seine Schlussanträge zu der Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht einer nationalen Vorschrift (wie § 10 Abs. 2 des österreichischen Urlaubsgesetzes) entgegensteht, nach der keine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig ohne wichtigen Grund einseitig das Arbeitsverhältnis beendet.

EuGH, C-233/20: Schlussanträge des Generalanwalts vom 15.4.2021
Der Sachverhalt:
Der Kläger, ein früherer Arbeitnehmer der beklagten Firma job-medium, verlangt von dieser eine Ersatzleistung für den Jahresurlaub, den er nicht vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses verbraucht hatte (3,33 Tage). Die Beklagte lehnt dies unter Berufung auf § 10 Abs. 2 des österreichischen Urlaubsgesetzes ab. Danach wird eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht geschuldet, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet (Austritt).

Der österreichische Oberste Gerichtshof möchte vom EuGH wissen, ob dieser Ausschluss mit dem in der EU-Grundrechte-Charta verankerten und in der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 konkretisierten Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub vereinbar ist.

Die Gründe:
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, nach der keine Urlaubsersatzleistung für das laufende letzte Arbeitsjahr geschuldet wird, wenn der Arbeitnehmer vorzeitig ohne wichtigen Grund einseitig das Arbeitsverhältnis beendet.

Das Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub umfasst auch den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub. Die Richtlinie stellt für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung als diejenige auf, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (Art. 7 Abs. 2). Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt für den in der Richtlinie vorgesehenen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle.

Es ist angezeigt, daran zu erinnern, dass der Zweck des in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie jedem Arbeitnehmer gewährleisteten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck, durch den sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken unterscheidet, beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat.

Es geht hier darum, sicherzustellen, dass die Rechte des Arbeitgebers und diejenigen des Arbeitnehmers in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Dabei ist aber daran zu erinnern, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden darf. Demnach muss der Schutz der Interessen des Arbeitgebers strikt erforderlich sein, damit es sich rechtfertigen lässt, eine Ausnahme vom Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub einzuräumen. Vorliegend ist es offenkundig, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum im Einklang mit dem Telos von Art. 7 der Richtlinie tatsächlich gearbeitet hat. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Jahresurlaub erworben, und der einzige Grund, warum die Urlaubsersatzleistung nicht geschuldet wird, liegt darin, dass das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer vorzeitig und ohne wichtigen Grund beendet wurde. In diesem Zusammenhang liegt der Strafcharakter der Vorenthaltung der finanziellen Vergütung auf der Hand.

Dies spricht dafür, dass ein solcher Mechanismus dem Wortlaut und dem Zweck (Erholung von der Arbeit sowie Zeit für Entspannung und Freizeit) von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zuwiderläuft. Dies umso mehr, als dem Arbeitgeber andere Mittel vertraglicher oder rechtlicher Art zu Gebote stünden, sich Schäden ersetzen zu lassen, die ihm durch den vorzeitigen und grundlosen Austritt seines Arbeitnehmers entstehen. Angesichts dieser Garantien ist es umso weniger wahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer allein oder hauptsächlich zu dem Zweck, seine Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erhöhen, aus freien Stücken in dem betreffenden Bezugszeitraum keinen bezahlten Jahresurlaub nehmen wird.

EuGH online
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